Weiter wie gewohnt also?

27. November 2016 | Von | Kategorie: Teleskop

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Angela Merkel, so Heribert Prantl in der SZ vom 26./27. November 2016, strahle aus, „dass sie nicht aus Freude, sondern aus Pflichtgefühl“ weitermache; dies ehre sie sehr. In Zeiten des Niedergangs und der Unsicherheit zeigt sich die bürgerliche Presse stets bemüht, Gutes im Menschen und der Gesellschaft selbst  dort zu entdecken, wo es nur schwer auszumachen ist.

Tatsächlich klebt die Kanzlerin ähnlich fest an ihrem Thron wie seinerzeit ihr Ziehvater Helmut Kohl. Bereits 1998 sagte sie: „Es gibt viele Beispiele von Frauen, die von heute auf morgen aus der Politik ausgestiegen sind. Wahrscheinlich fällt es ihnen leichter, weil sie auch in ihrer Zeit als Politikerinnen einen größeren Zug zum praktischen Leben spüren. Die haben nicht so viel Angst.“ Dies aber gilt offenbar nicht für Merkel, die unlängst bekundete, der Ausstieg aus der Politik falle ihr schwer. Dann müsse sie sich  „nach einer Phase der Langeweile“ (!) „etwas anderes einfallen lassen.“

Fraglos haben die Aktivitäten im nationalen und internationalen Politikbetrieb wenig Bodenhaftung, zumal sie in einer chronisch hektischen, sich als elitär begreifenden und vom Wahlvolk entfernten Parallelwelt stattfinden.  Dabei verlieren die Beteiligten tatsächlich nicht selten einen genügenden Bezug zum praktischen Leben, auch dem des Wahlvolks. Bereits diese Entfremdung  spricht dafür, eine auf zwei oder drei Wahlperioden begrenzte Höchstdauer der Kanzlerschaft einer Person einzuführen.

Auch ist das Amt des Bundeskanzlers oder der Bundeskanzlerin nicht als Projekt der Vermeidung von Langeweile des- oder derselben konzipiert. Eine geeignete politische Führungspersönlichkeit sollte über ein – möglichst  schon in der Kindheit angelegtes – breites Interessenspektrum  haben, das Langeweile auch bei Entfall des Regierungsamts  nicht aufkommen lässt, und wenn es sich dabei nur um  Interessen handelt, die sich im weiteren Bereich der Politik bewegen.  Man denke nur an Willy Brandt oder Helmut Schmidt, die auch nach Beendigung ihrer Kanzlerschaft keine Langeweile kannten.

Im Übrigen  sei an die wertvolle Erkenntnis der altgriechischen Philosophie erinnert, wonach der dritte Lebensabschnitt des Menschen nicht der Fortsetzung geschäftigen  Herumwurstelns,  sondern der Kontemplation und der  Beratung Jüngerer  dienen sollte. Und da gäbe es für Angela Merkel  viel zu tun. Eine Kanzlerin, deren Selbstkritik in der Flüchtlingsfrage bereits bei dem Gedanken  endet, sie hätte die Entstehung  der Flüchtlingsströme zu spät erkannt, springt entschieden zu kurz. Ein gründlicher Blick auf unbequeme tiefere Wahrheiten wäre sinnvoll –  wie die Tatsache, dass die beginnende Völkerwanderung nicht zuletzt Folge der unveränderten  Ausbeutung der Dritten Welt durch den Westen ist und angesichts dieses Bumerangs  – und anderer wie der Klimakatastrophe  – dringender Handlungsbedarf besteht.

Aber langjährige politische Führung produziert nun einmal erfahrungsgemäß eitle Gefühle der Unersetzlichkeit, von denen auch Angela Merkel sichtlich nicht frei ist. Diesen Empfindungen  hat die Kanzlerin selbst dadurch den Weg geebnet, dass sie im Laufe ihrer Regierungszeit fast alle potentiellen Konkurrenten in der CDU kalt gestellt hat – mit Ausnahme von Ursula von der Leyen, sie sich aber wohl nicht aus der Deckung traut.  Und durch die jüngsten Komplimente Barack Obamas wurde Merkels Überzeugung, nur sie sei geeignet, das Land in schwierigen Zeiten zu führen, sicherlich nicht vermindert.

Betrachtet  man aber Angela Merkels bald abgeschlossene drei Wahlperioden, so sieht man  eine Frau, die sich zwar durch manchen charakterlichen Vorzug auszeichnet, aber entscheidungsfreudig regelmäßig  nur dann ist, wenn es um ihren Machterhalt geht. Ansonsten trifft sie  Entscheidungen allenfalls im Schneckengang, und wenn sie einmal schneller ist wie bei der Kehrtwendung in Sachen Atompolitik oder der uneingeschränkten Öffnung der Grenzen für die Flüchtlinge im Jahr 2015, geht es zumeist ins Auge. Schlimmer aber ist, dass Angela Merkel unverändert über keinerlei auch nur ansatzweise  Konzepte verfügt, die sich mit den vielen  großen nationalen und internationalenProblemen  befassen, die  dringend zu lösen sind, man denke nur an die Notwendigkeit, den globalen vulgären Kapitalismus zugunsten politisch gesteuerter, wahrhaft sozialer  Marktwirtschaften wieder einzufangen, die wankende EU zu retten und den Rechtsruck in den westlichen Industriestaaten umzukehren.

Heribert Prantl hat auch darauf hingewiesen, unter denen, die sich in Deutschland von der AfD einfangen lassen, seien „nicht wenige, die es zur Weißglut treibt, wie Politik mit trostreichen Leerformeln den sogenannten globalen Eliten hinterherdienert.“ Und tatsächlich kommt auch Frau Merkel ohne die Leerwort  „soziale“ nicht mehr aus, wenn sie über die deutsche Marktwirtschaft spricht. Wohin man aber schaut, ob es um die Pharmaindustrie, die Autoindustrie, die Versicherungswirtschaft, die Agrarindustrie oder um die generelle, umfassende  Unterwanderung  der Gesellschaft durch kapitalistisches Denken  in Wissenschaft und Kunst, sogar  in den Schulen geht: Es dominieren inzwischen kaum noch die Politiker, sondern vor allem die großen Unternehmen, die alles andere als sozial denken sowie  agieren und jede nennenswerte Reform zu  Lasten ihres Profits mit Erfolg verhindern. Und selbst wenn einmal ein Unternehmenskapitän wie Götz Werner eine gute Idee wie das Bedingungslose Grundeinkommen verbreitet, stellt man bei näherer Betrachtung fest, dass er dieses ausschließlich  durch erhöhte Konsumsteuern finanzieren und die Unternehmen von jeder Ertragsbesteuerung befreien, die finanzielle Ungleichheit also noch vergrößern will. All dies aber bedeutet nicht weniger, als dass der soziale Zusammenhalt, auf den jede Gesellschaft für ihren Fortbestand angewiesen ist, zunehmend zerbricht. Die Vorstellung, dass eine Angela Merkel für weitere vier Jahre dazu berufen sein könnte, diesen Erosionsprozess  aufzuhalten und zur Lösung der übrigen oben genannten Probleme beizutragen, ist gelinde gesagt unbefriedigend.

Heribert Prantl ist ein hervorragender Journalist, aber er schreibt schlicht zu viel.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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