Erwartungsgemäß hat der Bundesrat ein allgemeines Tempolimit auf den deutschen Autobahnen abgelehnt – offenbar unter anderem aufgrund einer Stimmenthaltung durch Baden-Württemberg, dessen Ministerpräsident bekanntlich ein Grüner ist. Die Koalition mit der CDU ließ nichts anderes zu – ein Vorgeschmack auf das Schicksal der Grünen in einer Koalition mit der CDU/CSU auf Bundesebene, das sie viele Wähler kosten wird.
Die Süddeutsche Zeitung (SZ) wagte in der Wochenendausgabe vom 15./16. Februar die Prognose, ein generelles Tempolimit auf 130 km/h werde es „auch in Zukunft nicht geben“, berichtete aber über die Stimmverhältnisse im Bundesrat nichts. Zugleich veröffentlichte sie ein galliges Streiflicht, in dem sie nicht weniger als achtmal (!) den deutschen „Raser“ brandmarkte, der bei 130 km/h „noch nicht mal in den dritten Gang“ schalte. Die Suada gipfelte darin: „Vielleicht kommt der deutsche Raser ja noch auf die UNESCO-Liste des immateriellen Kulturerbes. Wenn nicht, wird er verschwinden wie der blutrünstige Tyrannosaurus Rex. So richtig vermisst den ja keiner. Wobei Tyrannosaurus vergleichsweise ein recht sympathischer Kumpel war.“
Wir leben in einer Zeit, in der inzwischen selbst seriöse Gazetten bisweilen Maß und Mitte verlieren. Wer wie der Verfasser dieser Zeilen seit mehr als fünfzig Jahren – überwiegend auf Langstrecken und gewiss nicht in einem Porsche – unfallfrei deutsche Autobahnen befährt, kann in derart ungezügelter Hetze keinen nennenswerten Bezug zur Wirklichkeit erkennen.
Es beginnt damit, dass die SZ sich nicht einmal bemüht, dem „Raser“ bestimmte Geschwindigkeiten der Fortbewegung zuzuordnen. Niemand mit etwas Verstand wird aber ernsthaft behaupten wollen, jeder, der auf einer dreispurigen Fahrbahn schneller fahre als 130 km/h, sei bereits ein „Raser“. Dies umso weniger, als die modernen Fahrzeuge bezüglich der Straßenlage und sonstigen Fahrsicherheit problemlos schneller bewegt werden können als frühere Exemplare.
Überdies sind die Zeiten, in denen auf den deutschen Autobahnen zahlreiche Rowdys drängelten und riskante Überholmanöver durchführten, längst vorbei; derlei Vorgänge sind vielmehr – auch aufgrund der Abstandsregelungen – selten geworden. Ein Fahrer, der sein Fahrzeug schneller bewegen will als viele andere, hat heute regelmäßig keine Schwierigkeiten mehr bei der Realisierung dieses Vorhabens und daher kaum noch Anlass zum Drängeln, zumal die ehemals große Zahl derer, die sich aus wenig akzeptablen Motiven bemühen, von hinten Herannahende durch Blockade der linken Fahrspur aufzuhalten, wesentlich abgenommen hat. Tatsächlich kann man einen Schnelleren ja mit etwas gutem Willen durch einen Fahrspurwechsel fast immer problemlos vorbeilassen. Nur nachts ist es nicht immer leicht, die Geschwindigkeit eines nahenden Fahrzeugs abzuschätzen; plötzliches Ausscheren auf die linke Fahrspur kann dann drastische Bremsmanöver des schnelleren Fahrzeugs erforderlich machen.
Die Fälle, in denen der Autor dieser Zeilen im Verlaufe der letzten fünf Dekaden ein anderes Fahrzeug nicht sofort passieren lassen konnte und ließ, können an zwei Händen abgelesen werden. War das ausnahmsweise nicht möglich, traf es zumeist auf Verständnis, und fehlte es an Aufmerksamkeit, vermieden ein Handzeichen und eine zügige Korrektur zuverlässig jede Turbulenz. Die Schnellen gehören nach aller Erfahrung regelmäßig nicht zu den schlechten Fahrern und bewegen ihr Fahrzeug typischerweise mit einem überdurchschnittlichen Grad an Aufmerksamkeit und Übersicht.
Problematisch sind dagegen noch immer eher die Zeitgenossen, die ihr Fahrzeug mit bescheidenen 100 km/h oder kaum mehr auf der linken Fahrspur bewegen und – aus welch düsteren Gründen auch immer – entgegen dem Rechtsfahrgebot eine Gelegenheit nach der anderen verstreichen lassen, einen Fahrer vorbeizulassen, der womöglich noch hunderte von Kilometern vor sich hat und dieses Tempo daher verständlicherweise nicht für das Salz der Erde hält. Diese für Drängeleien häufig ursächlichen Verkleber der Autobahn bleiben in den Medien chronisch unerwähnt.
Die Zahl der Unfälle auf den deutschen Autobahnen, die auf ein Tempo jenseits der 130 km/h zurückzuführen sind, dürfte weit niedriger sein, als die Behörden verlauten lassen. Sie attestieren seit geraumer Zeit geradezu manisch fast sämtlichen Unfällen „überhöhte Geschwindigkeit“. Sie sind es auch, die schon bei einem möglichen Stau gern Geschwindigkeitsbeschränkungen auf 80 oder 60 km/h verhängen und den Stau dadurch nicht selten erst produzieren.
Nach allem ist die in der Verkehrspolitik und den Medien verbreitete Verfolgung des „Rasers“ heutzutage blanke Hysterie. Dies ändert jedoch nichts daran, dass ein Tempolimit für die deutschen Autobahnen wegen der positiven Auswirkungen auf den Fortgang des Klimawandels unumgänglich ist, auch wenn die Autohersteller – und ihnen wie üblich sklavisch folgend die CDU/CSU – noch so sehr dagegen Sturm laufen. Auch sind die Unfallfolgen bei hohen Geschwindigkeiten trotz aller Fortschritte bei der passiven Sicherheit nun einmal vergleichsweise einschneidend.
Die SZ mag beruhigt sein. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die allgemeine Geschwindigkeitsbeschränkung auf 130 km/h für die deutsche Autobahn eingeführt wird. Der Exitus des Schreckensbildes „Raser“ ist nicht aufgehoben, nur aufgeschoben, und er wird nicht mehr lange auf sich warten lassen.