Die Kenntnisse der Wissenschaft über Sars-Co V2 sind, wie der Stellungnahme der Leopoldina vom 13. April zu entnehmen, noch recht begrenzt. Auch die Zahl derer, die in Deutschland an dem neuen Virus gestorben sind, kennt niemand wirklich, da die Toten ganz überwiegend alt waren und unverständlicherweise nicht obduziert wurden. Die Lebenserwartung der Deutschen aber ist auch ohne das neue Virus nun einmal begrenzt. Im Jahr 2018 sind insgesamt rund 955.000 Deutsche gestorben!
Wie dem auch sei: Die Zahl der jeweils neu Infizierten ist – auch in Bayern – wesentlich gesunken, es gibt in Deutschland inzwischen mehr Genesene als aktuell Infizierte und deutsche Krankenhausbetten auch für schwere Fälle stehen reichlich zur Verfügung. Wie in dieser Zeitschrift bereits am 6. April dargetan, wäre daher eine Beschränkung der hoheitlichen Eingriffe auf die Durchsetzung des gesichert Notwendigen (Abstand, Husten in Armbeuge, Händewaschen, Alltagsmasken, siehe „Worauf wir warten“ vom 06. April) bei weitgehenden Lockerungen im Übrigen, angemessen gewesen – mit stets bereiter Notbremse.
Die Stellungnahme der Leopoldina vom 13. April gab dazu wichtige Hinweise, die diesen Zeilen auszugsweise beigefügt sind. Diese Leitlinien waren im Detail gewiss recht allgemein, dennoch hilfreich und ein guter Wegweiser für konkretes Handeln im Sinne zumindest einer wesentlichen Reduzierung der Eingriffe in die Grundrechte. Offenbar hat sie jedoch niemand in der Politik und in den Medien sorgsam gelesen, geschweige denn verstanden oder gar umgesetzt. Hier liegt ohnehin ein erhebliches Defizit: Die politischen Entscheidungsträger sind in Hektik gefangen, eine Opposition, die diesen Namen verdient, ist in Sachen Corona nicht vorhanden, und auch die Medien fahren ganz überwiegend unkritisch mit im allgemeinen Panik-Zug, weshalb bislang noch jede Pressekonferenz überflüssig wie ein Kropf war. Wichtige Fragen wie nach einem Vergleich der Pandemie mit den großen Virus-Epidemien der vergangenen Jahre und ihren ebenfalls gravierenden Folgen wurden bis heute nicht gestellt, Alternativen zum Vorgehen der Politik nicht ernsthaft angesprochen. Und die Wissenschaftler sowie Ärzte, die sich der allgemeinen Hysterie entgegenstellen, werden unter Löschung von Youtube-Beiträgen totgeschwiegen.
Und so setzt die deutsche Bundes- und Landespolitik ungerührt die Strategie weder erforderlicher noch angemessener, kurz: unverhältnismäßiger und unzulässiger Eingriffe in Grundrechte der Bürger fort – ein Vorgehen, das fraglos auch die Kreisverwaltungsbehörden in ihren Allgemeinverfügungen übernehmen werden. Noch immer bestehen die Ausgangsverbote, noch immer werden sich Menschen, auch Angehörige einer Familie, die nicht dauernd zusammen wohnen, auch bei Einhaltung gehöriger Abstände nicht treffen dürfen, und noch immer werden Eigentümer von Zweitwohnsitzen im ländlichen Norden diese weder allein noch mit Familienangehörigen aufsuchen dürfen, obwohl sie durch eine solche Nutzung nicht zur Verbreitung des Virus beitragen würden und die Infektionsgefahr dort erheblich geringer ist als am städtischen Hauptwohnsitz. Weiterhin werden damit die Bürger, auch und nicht zuletzt die auf engem Raum lebenden einkommensschwachen Familien, zumindest psychisch schwer belastet und durch das widerliche Denunziantentum bedroht, wenn sie diese Belastungen nicht mehr aushalten. Angst, polizeilicher Druck und Stress sind gesundheitsschädlich. Unverändert werden durch die Beschränkungen zudem zahllose Kleinbetriebe sowie Selbstständige ruiniert, während Großunternehmen wie ADIDAS vorsorglich und großzügig gestützt werden.
Die Begründung für dieses unverantwortliche Vorgehen der Politik, ein Wiederaufflackern der Infektionen müsse unbedingt vermieden werden, würde an das Verhalten eines Serienwürgers erinnern, der jede Lockerung seines Griffs verweigert, wenn es nicht schlicht feige wäre. Sie trägt bei näherem Hinsehen nur, wenn – und so klang Angela Merkel am 15. April tatsächlich – beabsichtigt ist, die derzeitigen privaten Beschränkungen im Wesentlichen so lange aufrecht zu erhalten, bis Impfstoffe gegen das Virus zur Verfügung stehen, was selbst bei optimistischer Auffassung nicht vor 2021 der Fall sein wird – ein irrsinniges Vorhaben, das immense Schäden anrichten und die bisherige Kooperationsbereitschaft der Menschen weit überfordern würde.
Dabei haben die – auch jungen – Bürger inzwischen doch fast ausnahmslos verstanden, dass Abstand sie und andere schützt und rettet. Viele tragen in Supermärkten und öffentlichen Verkehrsmitteln freiwillig bereits einfache Schutzmasken. Die Menschen haben über Ostern trotz herrlichen Wetters solidarisch Vernunft bewiesen, und wenig spricht dafür, dass sie dieses Verhalten bei entsprechenden andauernden Appellen ändern werden. Dass nach wesentlichen Lockerungen wieder exponentiell wachsende Infektionszahlen entstehen würden, ist daher wenig wahrscheinlich. Und selbst wenn das Experiment Freiheit scheitert, kann durch erneute Verschärfungen ohne weiteres schnell wirksam die Notbremse gezogen werden. Soviel Mut muss sein. Freiheit braucht Mut, Angst ist und bleibt ein schlechter und schädlicher Ratgeber.
Die Stellungnahme der Leopoldina vom 13. April
besteht aus einem Abschnitt „Zusammenfassung und Empfehlungen“ und dem nachfolgenden, ausführlicheren Text. Anfangs schon wird das beträchtliche Ausmaß der noch bestehenden Unsicherheiten in der Wissenschaft erwähnt: „Die bisher stark symptombezogenen Datenerhebungen führen zu einer verzerrten Wahrnehmung des Infektionsgeschehens…. Daten zu schweren Krankheitsverläufen und Todesfallzahlen müssen in Relation zu denen anderer Erkrankungen gesetzt und auf das zu erwartende Sterbefallrisiko in einzelnen Altersgruppen bezogen werden.“
Ferner wird dort ausgeführt: „Für die Akzeptanz und Umsetzung getroffener Maßnahmen ist eine auf Selbstschutz und Solidarität basierende intrinsische Motivation wichtiger als die Androhung von Sanktionen. Die Vermittlung eines realistischen Zeitplans und eines klaren Maßnahmepakets zur schrittweisen Normalisierung erhöhen die Kontrollier- und Planbarkeit für alle. Das hilft, negative psychische und körperliche Auswirkungen der aktuellen Belastungen zu minimieren.“
Den Eingriffen in die Grundrechte widmet die Stellungnahme mehr als zwei eng beschriebene Seiten. Auszüge: „Die zur Bekämpfung der Coronavirus-Pandemie ergriffenen staatlichen Maßnahmen … führen in einem bislang nicht für möglich gehaltenen Umfang zu massiven Grundrechtseinschränkungen und –supensionen. …. Der Staat hat angesichts der Schwere der Eingriffe nicht nur die Pflicht, die Maßnahmen zu befristen, sondern auch, ständig zu überprüfen, ob nicht mildere Maßnahmen in Betracht gezogen werden können. …. Da sich Deutschland im Unterschied zu anderen Staaten nicht in einem formellen Ausnahmezustand befindet, müssen diese Maßnahmen die verfassungsrechtlichen Vorgaben erfüllen. Zentrale Bedeutung kommt daher auch in der aktuellen Situation der Frage zu, ob die Grundrechtseingriffe dem Verhältnismäßigkeitsprinzip entsprechen. Grundrechtseinschränkungen müssen nicht nur ein legitimes Ziel verfolgen…… Die ergriffenen Maßnahmen müssen darüber hinaus zur Erreichung dieses Ziels geeignet, erforderlich und angemessen sein.“
Während es an der prinzipiellen Geeignetheit der ergriffenen Maßnahmen zur Erreichung des Zieles, insbesondere der Abflachung der Infektionskurve, … kein Zweifel bestehen dürfte, sieht das beim … Punkt … der Erforderlichkeit, möglicherweise anders aus. Denn hier lautet die Frage, ob es nicht mildere Maßnahmen gleicher Effektivität gibt. Die aktuellen politischen Maßnahmen erfolgten aus nachvollziehbaren Gründen angesichts des großen Zeitdrucks recht pauschal. Wegen der Schwere und Dauer der Grundrechtsbeschränkungen ist es nun geboten, über Alternativen und mögliche Lockerungen nachzudenken, ohne das Schutzziel aus den Augen zu verlieren. Eine beständige Beobachtungs- und Prüfungspflicht hinsichtlich einer möglichen Lockerung der Verbote ist verfassungsrechtlich geboten. Die Grundrechtseingriffe müssen in Maß und Umfang in einem angemessenen Verhältnis zu Ziel und Zweck der Maßnahmen stehen.….
Hierbei müssen…. auch die nicht intendierten Nebenfolgen der Grundrechtseingriffe berücksichtigt werden. …. Die Maßnahmen, die mit Blick auf die Pandemie den Schutz von Leben und Gesundheit bezwecken, ziehen an anderer Stelle gerade Einbußen dieser Rechtsgüter nach sich. Diese dürfen bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht ausgeblendet und einem Primat des seuchenpolizeilichen Imperativs geopfert, sondern müssen in eine Gesamtabwägung mit eingestellt werden…. Zielkonflikte müssen identifiziert und bei der Entscheidungsfindung abgewogen werden. …. Der Anspruch einer ethischen Perspektive besteht im aktuellen Fall darin, die für unsere Gesellschaft grundlegenden Prinzipien der Gerechtigkeit und der Solidarität bei der Abwägung der unterschiedlichen Zielkonflikte zur Geltung zu bringen. …. Die Förderung von Gerechtigkeit und Solidarität trägt dazu bei, die Identifikation des oder der Einzelnen mit dem Gemeinwesen zu stärken und gemeinschaftliches Handeln zu motivieren. Dies ist zur gemeinsamen Bewältigung einer solchen Krise essenziell.“