Zu den ehernen Glaubenssätzen der Ökonomie, die als Sozialwissenschaft zuverlässige Ergebnisse vor allem a posteriori erzielt, gehört die Annahme, der Kapitalismus könne nur bei ständigem Wirtschaftswachstum weiter materiellen Wohlstand schaffen und stabil sein; ohne andauernde wirtschaftliche Expansion breche er zusammen.
Das Konzept permanenten Wachstums stößt jedoch auf Grenzen, da es die Lebensgrundlagen der zumindest zunächst weiter wachsenden Zahl der Menschen auf Erden zunehmend zerstört und die Hoffnung, es lasse sich vom fossilen Energieverbrauch (Stichwort „Green New Deal“) und vom Ressourcenverzehr (insbesondere durch Kreislaufwirtschaft) entkoppeln, illusionär ist.
Diese Erkenntnis ist in Wirtschaft und Politik der früh entwickelten Staaten äußerst unwillkommen, verlangt sie doch wesentliche Änderungen vorhandener Gewohnheiten – bei der Wirtschaft die Beendigung der andauernden, gewinnträchtigen Erneuerung und Ausweitung des Warenangebots unter Nutzung steigender Arbeitsproduktivität und bei den Bevölkerungen die Aufgabe beständigen Konsums. Keine Partei aber ist bereit, die Wirtschaft und die Wähler mit Forderungen zu konfrontieren, die auf Verzicht gerichtet sind.
Auch der ökonomische mainstream steht noch immer fest auf der Seite der Wachstumsanhänger; insbesondere seit der Finanz- und Wirtschaftskrise in den Jahren ab 2008 befassen sich jedoch Einzelne mit dem unumgänglichen Umbau der Wirtschaft und einer Definition von Wohlstand, die nicht nur Materielles erfasst. Zu nennen sind beispielsweise Meinhard Miegel („Exit – Wohlstand ohne Wachstum“, Propyläen 2010, 301 Seiten, vergriffen), Tim Jackson (Abbildung oben, Oekom, Update 2017, 367 Seiten, 20 Euro) und Ulrike Herrmann („Das Ende des Kapitalismus“, Kiepenheuer & Witsch 2022, 341 Seiten, 24 Euro).
Die Crux des Themas liegt darin, dass die Folgen einer Beendigung des Wirtschaftswachstums in Wahrheit wenig klar sind. Während Miegel den Fortbestand des Kapitalismus dabei offenbar nicht in Gefahr sieht, erkennt Jackson die Drohung zwar, sieht aber Lösungsmöglichkeiten. Herrmann folgt dem Schweizer Ökonomen Mathias Binswanger, der anhand einer fiktiven Fischerinsel (im Detail wenig überzeugend) den Untergang des Kapitalismus bei einer statischen Wirtschaft nachzuweisen sucht. Andererseits verweist sie auf die britische Planwirtschaft während des zweiten Weltkrieges, bei der die Unternehmen in privater Hand blieben, der Staat aber über das zu Produzierende und die Verteilung der knappen Güter entschied.
Nach übereinstimmender Auffassung aller genannten Autoren wird eine den ökologischen Grenzen der Erde entsprechende Wirtschaft zu einer abnehmenden Güterproduktion bei zunehmenden Dienstleistungen und insgesamt reduzierten Arbeitszeiten führen, verbunden mit einer wieder stärkeren Stellung des Staates. Die Menschen werden einen Wohlstand gewinnen, der nicht mehr primär materiell und energieintensiv, sondern durch Werte wie Freizeit, Gemeinschaft, Vertrauen, gegenseitige Fürsorge, Zufriedenheit und Kulturelles definiert wird – Werte, die unter der derzeit herrschenden neoliberalen Ausprägung des Kapitalismus mit ihrem materiellen Kampf aller gegen alle, dem verbreiteten Statusdenken und den demokratiegefährdenden Ungerechtigkeiten unterzugehen drohen.
In einem kurzen Artikel wie hier kann die Komplexität der Angelegenheit naturgemäß nicht befriedigend wiedergegeben werden; beispielsweise sollten für die noch nicht entwickelten Staaten differenzierende Grundsätze gelten. Zur Vertiefung empfohlen wird vor allem das mehrfach überarbeitete und aktualisierte Buch des Tim Jackson, obwohl das letzte Update bereits rund fünf Jahre zurückliegt. Aber auch der Spiegel-Bestseller von Ulrike Herrmann bietet interessante weitere Erkenntnisse. Eine Lösung für die Beseitigung der in vielen Ländern vorhandenen, abnormen sozialen Ungleichheit, die von Jahr zu Jahr größer wird, hat freilich auch sie nicht parat.