Die SPD mag mit ihrem vermeintlichen Heilsbringer Martin Schulz noch so viele Konzepte vorlegen und selbsttherapeutische Jubelparteitage abhalten, es erinnert doch nur an das berühmte Pfeifen im Walde. Bei der anstehenden Bundestagswahl wird die SPD mit einiger Sicherheit ein verheerendes Ergebnis einfahren, schon jetzt ist sie bei der Sonntagsfrage wieder auf 23 % abgerutscht. Anderes hat die SPD nach den letzten 30 Jahren, in denen sie ihre ehrwürdige historische Rolle als Vertreter der Arbeitnehmer und der sonst Benachteiligten in der Gesellschaft vielfach verraten hat, auch nicht verdient. Unter Gerhard Schröder hat sie die Höchststeuersätze erheblich reduziert und den Hartz IV-Sozialabbau herbeigeführt. Ferner hat sie dabei mitgewirkt, die durch nichts zu rechtfertigende, niedrige Abgeltungssteuer auf Zinsen und Dividenden einzuführen, die paritätische Finanzierung der Krankenversicherung der Arbeitnehmer abzuschaffen und die Kosten der Energiewende im Wesentlichen nur dem breiten Volk aufzubürden. Dies, während die Löhne viele Jahre lang stagnierten, die Bezüge der Manager und Unternehmen – und damit die skandalöse Ungleichheit – aber erheblich anstiegen. Soeben erst hat die SPD die unvertretbare Reform der Schenkungs- und Erbschaftsteuer durchgewinkt, die den Übergang von Großunternehmen auf die Erben praktisch steuerfrei ermöglicht – ohne jede Not, hätte es doch zur Erhaltung von Arbeitsplätzen genügt, den Staat bis zur Entrichtung der Erbschaftsteuer ohne Mitwirkungsrechte an zukünftigen Gewinnen des Unternehmens zu beteiligen. Dies sind nur einige Beispiele, die Liste der Verfehlungen der „alten Tante“ SPD ließe sich fast beliebig fortsetzen.
Während dieser 30 Jahre hat das rechte Führungspersonal zugleich den linken Flügel der SPD derart geschliffen, dass so gut wie nichts mehr von ihm übrig ist und ein Thorsten Schäfer-Gümbel in der Partei heute schon als Linker gilt. Gleichzeitig entfernte sie nicht einmal den unsäglichen Thilo Sarrazin aus ihren Reihen.
Alle Sündenfälle geschahen mit Beteiligung oder Billigung des Martin Schulz, der nun plötzlich als Hoher Priester einer linken Bewegung präsentiert wird. Dieser Kandidat, der sich in Dortmund soeben mit Gerhard Schröder in den Armen lag, ist als Sozialreformer schlicht unglaubwürdig. Eher erinnert er an den erzkonservativen, seinerzeit nicht zufällig von Helmut Schmidt favorisierten Kandidaten Peer Steinbrück, dem kurz vor der Bundestagswahl 2013 noch schnell ein linkes Mäntelchen umgehängt wurde, obwohl ihm das so gar nicht passte. Das nunmehrige Steuerkonzept der SPD ist denn auch alles andere als mutig. Dennoch wäre es ein – kleiner – Treffer gewesen, wenn Martin Schulz seine taktisch ungeschickte Attacke gegen Angela Merkel in der Schublade gelassen hätte.
Wen will diese SPD noch davon überzeugen, dass sie nach der Bundestagswahl ernsthaft und substantiell mehr Gerechtigkeit anstrebt und durchzusetzen bereit ist? An die jüngsten Erfolge von Bernie Sanders (USA) und vor allem Jeremy Corbyn in Großbritannien, der die Tories mit ihrer unseligen Theresa May inzwischen ernsthaft bedroht, können Schulz und die SPD gewiss nicht anknüpfen; Sanders und Corbyn sind – anders als Schulz – beide jahrzehntelang überzeugte und überzeugende Linke.
Katastrophale Auswirkungen hatte das wirtschaftshörige Abdriften der SPD in die „Mitte“ aber auch in einer weiteren Hinsicht: Den sozial Abgehängten in Deutschland ging die früher noch selbstverständliche Einsicht verloren, dass die Gegner „oben“, in den prächtigen Etagen der raffgierigen so genannten „Eliten“, hausen. Stattdessen richteten sie den Blick nach unten und glaubten, die sozial noch Schwächeren, insbesondere Flüchtlinge, bekämpfen zu müssen, um das Wenige zu retten, das ihnen bleibt. So wurden sie bereitwillig Opfer rechtslastiger Parteien wie der AfD. Ähnliches vollzog sich in anderen Ländern wie in Frankreich, den Niederlanden und in den USA. So etwas geschieht nur, wenn die traditionell linken Parteien ihren Auftrag selbstvergessen nicht mehr wahrnehmen.
Nein, anders als in längst vergangenen Zeiten, in denen das obige Plakat entstand, und anders als noch unter Willy Brandt, ist die SPD seit langem nicht mehr attraktiv. Wenn sie wirklich eine Kehrtwendung zur Durchsetzung von mehr Gerechtigkeit vollziehen will, muss sie sich aus der Großen Koalition lösen, in der Opposition eine überzeugende und nachhaltige sozialreformerische Alternative zur CDU/CSU entwickeln und so neues Vertrauen beim Wahlvolk aufbauen. Es darf bezweifelt werden, dass die derzeitigen Parteioberen der SPD dazu bereit sind; lukrative Ministerposten, die dazu den späteren Übertritt in die Wirtschaft ermöglichen, sind entschieden interessanter. Bloßer kurzlebiger Augenwischerei vor Wahlen aber sollten und werden die Wähler eine klare Abfuhr erteilen.