Die Berichte der deutschen Medien über den Dauerkonflikt im Nahen Osten beschränken sich zumeist auf die Neuigkeiten des Tages. So fehlt es bei vielen in unserem Lande an den Grundlagen für eine Einordnung des Geschehens. Nachfolgend werden einige historische Aspekte kurz beleuchtet, die geeignet sind, ein wenig zum Verständnis der gegenwärtigen Ereignisse beizutragen.
Israeliten wanderten bereits in Palästina ein, bevor Moses sein Volk im Jahr 1270 v. Chr. aus der ägyptischen Gefangenschaft führte. Nach den Siegen über die Kanaaniter und die Philister schuf David in Palästina ein Königreich, dessen Hauptstadt Jerusalem war. Nach dem Tod seines Nachfolgers Salomo im Jahr 922 v. Chr. wurde dieses Reich aufgeteilt in das nördliche Israel, das etwa 722 v. Chr. an Assyrien fiel, und in das südliche Juda, das 586 v. Chr. – unter Zerstörung Jerusalems und weitgehender Vertreibung der dort lebenden Juden – von den Babyloniern erobert wurde. Erst nachdem Persien im Jahr 539 v. Chr. wiederum Babylon eroberte, durften die Juden in einen Teilbereich Palästinas, Judäa, zurückkehren. Die persische Herrschaft wurde im Jahr 333 v. Chr. durch die griechische Alexanders des Großen abgelöst. Auf die Griechen folgten die ägyptischen Ptolemäer und die syrischen Seleukiden. Nach einer Revolte der Makkabäer errichteten diese in Palästina wieder einen jüdischen Staat, bis die Römer unter Pompeius das Gebiet Palästinas zur römischen, wenn auch von jüdischen Königen regierten Provinz machten. Nach gescheiterten jüdischen Aufständen in den ersten zwei Jahrhunderten nach Christus rückte Palästina zunehmend in das christliche Interesse, nachdem Kaiser Konstantin I. 313 n. Chr. das Christentum anerkannte; Palästina wurde zum Ziel christlicher Pilgerreisen, und der größte Teil der Bevölkerung Palästinas konvertierte zum Christentum.
Die byzantinische Herrschaft endete im siebten Jahrhundert nach Christus. Nach einer kurzen Besetzung durch die Perser wurde Palästina im Jahr 638 durch muslimische Araber erobert und rund dreihundert Jahre lang beherrscht. In dieser Zeit wurde Jerusalem neben Mekka und Medina zu einer der wichtigen Stätten des Islam. Aufgrund der heute weithin vergessenen muslimischen Tradition der Toleranz dauerte es mehr als hundert Jahre, bis die Bevölkerung Palästinas im Wesentlichen zum Islam übergetreten war. Nach einer langen Blütezeit Palästinas nahm dessen Rang kontinuierlich ab, nachdem die Abbasiden Bagdad zu ihrem politischen Zentrum gemacht hatten. Es folgten wiederholte Unruhen durch arabische Völker und die Kreuzfahrer, und unter den Mamelukken schließlich war Palästina ohne Bedeutung. Im Jahr 1517 eroberten die Türken Palästina und herrschten dort bis zum Ende des Jahres 1917. In diesen Jahrhunderten wurde die Region von Arabern beherrscht, jüdische Gemeinden genossen jedoch eine gewisse Autonomie. Während der Zeit bis zur Erosion des Osmanischen Reichs im 17. Jahrhundert erlebte Palästina erneut einen gewissen Aufschwung.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begann die neuzeitliche jüdische Emigration aus europäischen Staaten nach Palästina, die allerdings anfangs nur bescheidene Ausmaße erreichte. Im Jahr 1880 stellten die Araber noch 95 % der Einwohner Palästinas. Dennoch entstand bereits damals arabischer Widerstand gegen die jüdische Einwanderung. Im Jahr 1897 beschloss eine Zionistenkonferenz in Basel unter dem Eindruck fortgesetzter antisemitischer Tendenzen in verschiedenen europäischen Staaten, in Palästina eine „gesicherte Heimstätte“ für das jüdische Volk zu schaffen.
Auf dem folgenden, langen Wege bis zur Ausrufung des Staates Israel im Jahr 1948 kam es zu einem folgenschweren Geburtsfehler dieser Heimstätte, deren Urheber die Briten waren. Bereits im Jahr 1915, bevor sie im Kampf gegen das Osmanische Reich (1917/1918) Palästina mit Hilfe der Araber besetzten, sagten die Briten den Arabern für die Zeit nach dem ersten Weltkrieg die Herrschaft über Palästina zu. Dieses Versprechen konterkarierten sie schon kurz danach gründlich. Im Jahr 1916 vereinbarten die Briten in dem geheimen „Sykes-Picot-Abkommen“ mit Frankreich und Russland, Palästina zu teilen und gemeinsam zu regieren. Ein weiteres Jahr danach fügten sie eine dritte, im Widerspruch zu beiden vorangegangenen Abkommen stehende Zusage hinzu: In der „Balfour-Declaration“ aus dem Jahr 1917 versprachen die Briten den Juden – um sich auch deren kriegswichtige Unterstützung zu sichern – eine „nationale Heimstatt“ in Palästina.
Diese miteinander unvereinbaren Versprechungen, die zu erheblichen Verwerfungen führen mussten, wirken noch heute nach. Während die Zionisten, die noch 1918 nur 8 % der Bevölkerung Palästinas ausmachten, einen ganz Palästina umfassenden Staat Israel ins Auge fassten, pochten die Araber auf die ihnen gemachte Zusage und wehrten sich entschieden dagegen, von den Juden aus Palästina verdrängt zu werden. So kam es bereits in den Jahren 1920 und 1921 zu antizionistischen Ausschreitungen in Jerusalem und Jaffa. Auch die Übertragung des Mandats über Palästina auf die Briten im Jahr 1922 durch den Völkerbund löste die bestehenden Widersprüche nicht auf. Großbritannien wurde verpflichtet, einerseits die Einrichtung der nationalen Heimstätte für die Juden zu fördern, andererseits aber die bürgerlichen und religiösen Rechte der nichtjüdischen Gemeinschaften zu schützen. So schwankten die Briten zwischen zwei konträren Forderungen hin und her, während die jüdische Emigration nach Israel zunächst langsam und dann, nach der nationalsozialistischen Machtergreifung in Deutschland, erheblich zunahm (Zuwanderung 1931: 4.000; 1935: 60.000).
Versuche der Briten ab 1939, die Einwanderung und den Landkauf der Juden zu begrenzen, wurden unter dem Eindruck der Judenverfolgung durch das „Dritte Reich“ zunächst durch eine massive illegale jüdische Einwanderung, jüdische Terrorakte, bewaffnete Zusammenstöße zwischen Juden und Arabern und schließlich durch das schlechte Gewissen der Weltöffentlichkeit gegenüber den Juden hinweggefegt. Bereits 1946 war der Anteil der Juden an der Bevölkerung Palästinas auf zwei Fünftel angewachsen. Eine von der Generalversammlung der Vereinten Nationen 1947 gegen die Stimmen aller arabischen Staaten empfohlene Teilung Palästinas in einen israelischen und einen arabischen Staat bei Internationalisierung Jerusalems wurde schließlich von beiden Seiten abgelehnt. Nachdem Großbritannien sein Mandat unter Abzug seiner Truppen aus Palästina zurückgegeben und Ben Gurion im Mai 1948 den unabhängigen Staat Israel (auf nur 56 % des britischen Mandatsgebietes) ausgerufen hatte, kam es zum ersten Krieg zwischen den arabischen Staaten und Israel, in dem die Israelis nach anfänglichen Rückschlägen erfolgreich waren, erstmals Gebiete außerhalb ihrer Grenzen besetzten und eine Massenflucht der Araber auslösten, denen die Israelis bereits damals eine akzeptable Existenz in ihrem Staatswesen verwehrten.
Wie bekannt, sind im Nahen Osten seither zahlreiche Kriege und bewaffnete Scharmützel zwischen den Israelis und arabischen Staaten und palästinensischen Gruppen mit weiteren Landnahmen seitens der Isralis gefolgt, die eine friedliche Koexistenz der Israelis und der arabischen Palästinenser, erst recht die Schaffung zweier kooperierender Staaten auf dem Gebiet Palästinas, bis heute verhindert haben.
Im Ergebnis wird Palästina seit bald einem Jahrhundert von dem Konflikt zwischen zwei sich ausschließenden, weil dasselbe Gebiet betreffenden Nationalismen beherrscht. Von Anfang an standen sich eine fundamentale Ablehnung des Projektes Israel auf der arabischen Seite und Sicherheitsbedürfnisse, aber auch Expansionsbestrebungen und mangelnde Integrationsbemühungen der Israelis unversöhnlich gegenüber, begleitet von unzureichenden und konträren Einflussnahmen seitens der Mitglieder der internationalen Staatengemeinschaft.
Dieser grundlegende Konflikt, der trotz aller zwischenzeitlichen Bemühungen um die Herstellung eines nachhaltigen Friedens in der Region einschließlich der dauerhaften Anerkennung des Existenzrechts Israels durch die Araber immer wieder zu Spiralen gegenseitiger Gewalt ausufert, erscheint unverändert kaum auflösbar.
Bleibt zu hoffen, dass die nächste US-Regierung zu einer weitsichtigeren, konstruktiveren Haltung findet, welche die USA wieder als Vermittler legitimieren, Russland nicht wieder in alte, einseitig pro-arabische Reflexe verfällt und China zukünftig einen produktiveren Beitrag zur Entspannung in Palästina leisten wird. Die Erwartung einer stringenten, gemeinsamen Außenpolitik der Europäischen Union, die zu wertvollen Mittlerdiensten in der Lage wäre, mag man ja kaum noch aussprechen. Frieden im Nahen Osten wird es sicher nicht geben, solange die USA keinen erhöhten Druck auf Israel ausüben, ihre expansive Siedlungspolitik zu revidieren und in Sachen Jerusalem kompromissbereiter als bisher zu werden, und andererseits die arabische Seite die Palästinenser mit Erfolg veranlasst, den fundamentalen Widerstand gegen die Existenz Israels aufzugeben.
Selbst wenn alle diese Hoffnungen wahr werden, wird die Herstellung stabiler Zustände in der Region, umso mehr eines dauerhaften Friedens im Nahen Osten, wenn sie denn überhaupt jemals gelingen kann, noch viel Zeit und Mühen in Anspruch nehmen.