Thema verfehlt

29. Oktober 2016 | Von | Kategorie: Mikroskop

Der Rechtsruck auch  in den noch nicht von Populisten regierten Staaten ist gewaltig. Dafür gibt es jenseits des Reaktionären auch handfeste soziale Gründe, die  J.D. Vance in seinem Buch „Hillbilly Elegy“ am Beispiel der USA eindrucksvoll schildert. Diese Entwicklung ist für den Westen  umso bedrohlicher, als die Regierungsform der Demokratie, also idealiter eine Regierung „durch das Volk“  (Lincoln), aufgrund der immer komplexeren  Probleme und weithin unbrauchbarer Volksvertreter sowie Parteien ohnehin desavouiert ist. Sie sollte auch deshalb ernst genommen werden, da  die von den Rechten verbreiteten, über Dumpfbackenes hinausgehenden  Thesen Missstände anprangern, die auch von führenden politischen Linken wie Sanders (USA) und Corbyn (Großbritannien) thematisiert werden.

Die Reaktionen der  etablierten Politik  auf die Rechtspopulisten schwanken dennoch lediglich zwischen echter oder scheinbarer Anbiederung (Sarkozy, Seehofer und vulgär der Gaukler  Trump),  sinnlosen Streitereien  (Maas) und untauglichen Reparaturversuchen an Details bei dem Versuch des bloßen Aussitzens im Übrigen (Merkel, Gabriel).

Habermas hat soeben in einem Interview (vgl. den Bericht in der SZ vom 28.10.2016, S. 14 ) zu Recht darauf hingewiesen, dass  diese Bemühungen unnütz, sogar schädlich  sind, da sie den Rechten erhöhte Aufmerksamkeit verschaffen und sie damit nur stärken; es gehe vielmehr darum, zu definieren, worin die Krise liegt, statt dies den Populisten zu überlassen. Ebenso zutreffend, wenn auch unvollständig, ist die Problemskizze des Philosophen:

„Wie erlangen wir gegenüber  den zerstörerischen Kräften einer entfesselten kapitalistischen Globalisierung wieder die politische Handlungsmacht zurück?“

Würde diese Diskussion unter Einbeziehung des Sozialen sachkundig und verantwortlich geführt, und würden dann politische Konsequenzen aus den Ergebnissen gezogen, wäre der große Erfolg der Rechtspopulisten  schnell dahin; die verbleibenden „völkischen“ Rechten könnten dann als das gebrandmarkt werden, was sie sind:  „Der Saatboden eines neuen Faschismus.“ (Habermas)

Diese Diskussion aber findet im Westen praktisch nicht statt. In der Politik wurschteln allzu viele Egomanen mit starrem Blick auf die eigene Karriere und den nächsten Wahltermin vor sich hin, pflegen nationale Egoismen  und vollziehen nebenbei die Wünsche der großen Konzerne und ihrer Lobbyisten, statt sie in Schranken zu weisen. Nicht viel produktiver sind die  bürgerlichen Medien. Das gilt auch für renommierte Blätter wie die SZ, die zwar viele wertvolle Informationen liefern, aber als Wirtschaftsunternehmen in ihren Kommentaren über den mainstream nicht hinauswollen; man lese nur den Essay von Ulrich Schäfer auf S. 14 der SZ vom 29.10.2016  („Der Geist der Unfreiheit“), der das Wesentliche nicht einmal ansatzweise thematisiert.

Man muss diese Defizite (und andere) nicht erst mit der ungeheuren, von den Unzulänglichkeiten der Demokratie unbehelligten Energie der Chinesen vergleichen, um festzustellen: Der Westen ist schwach geworden.

 

 

 

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