Hilmar Klute ist Journalist bei der Süddeutschen Zeitung (SZ) und schreibt Beiträge für das nicht selten humorige Streiflicht. In der SZ vom 19./20. Dezember beanstandete er dagegen gänzlich humorlos zum wiederholten Male die Art des Auftretens von Kabarettisten im deutschen Fernsehen. Dabei vermengte er die Teilnahme an öffentlichen Diskussionsrunden mit Kabarettsendungen.
Gerechtfertigt ist Klutes Kritik insoweit, als Satire in politischen Talkshows wie Anne Will fehl am Platze ist, und eine Lisa Eckhart, die allgemeine Bekanntheit vor allem durch ihren unappetitlichen „antisemitischen Spaß über Harvey Weinstein“ erreichte, ohne das „Besteck der Literaturkritik“ im Literarischen Quartett ebenfalls nichts zu suchen hat.
Immerhin nachvollziehbar ist Klutes Verwunderung darüber, dass ein beträchtlicher Teil des deutschen Fernsehpublikums die Heute-show des ZDF für ein investigatives Magazin hält. Tatsächlich leidet diese Sendung inzwischen unter einer von Oliver Welkes Auftreten geförderten Tendenz zur kalauernden Comedy jenseits ernster Anliegen, die nun einmal unverrückbares Qualitätsmerkmal guter Satire sind; bleibt zu hoffen, dass Christian Ehring mit extra3 nicht auch ähnlich abrutscht. Immerhin bietet die Heute-show aber niveauvolle, vielfach ausgezeichnete Unterhaltung, die im deutschen, Krimis, Quizsendungen und Telenovelas verödeten Fernsehen bekanntlich Mangelware ist und typischerweise erst zu später Stunde gesendet wird.
Verständlich ist ferner Klutes Beanstandung der Volten des Martin Sonneborn, dessen anfänglich witzige Idee, mit „Die Partei“ die weithin programmatische Dürftigkeit politischer Parteien zu karikieren und das Europäische Parlament aufzumischen, offenbar primär in einem Projekt eigener finanzieller Versorgung versandet ist. Auch Jan Böhmermann ist eine schillernde, sichtlich vor allem von Ehrgeiz getriebene Figur.
Bereits die Bemerkung Klutes jedoch, seit Jahren versichere „Eckart von Hirschhausen als approbierter Klinik-Clown den Menschen, dass Lachen immer noch die beste Medizin sei“, reduziert die weit gestreuten, teilweise außerordentlich humanen Aktivitäten Hirschhausens auf eine – medizinisch anerkannte – Randbemerkung und zeigt damit wenig Interesse an der „informierten Öffentlichkeit“, die Klute beim Kabarett unserer Tage im Fernsehen vermisst.
Jedenfalls auch zum TV-Kabarett meint Klute, früher hätten Kabarettisten (nur) „hingeschmunzelte Fußnoten zum Weltgeschehen“ geliefert, während sie heute „Stichwortgeber, Experten und Protagonisten einer neuen Art von Aufklärung“ seien, die „Bastionen der Hochkultur zu Tempeln der ironischen Süffisanz“ umdekoriere. Es gebe „in der öffentlichen Diskussion eine merkwürdige Tendenz, den Ernst zu verabschieden und die ungekünstelte, sachkundige und nicht auf Pointen abzielende Rede zu verachten“.
„Warum sich mit der Lektüre eines Leitartikels oder eines gesellschaftspolitischen Essays abmühen, wenn die flachen Politikclowns der ZDF-Kabarettsendung Die Anstalt uns klar vor Augen führen, was für Blödmänner und –frauen in Berlin versuchen, uns durch die Corona-Krise zu führen?…. Wenn man einen Blick auf die Parolen der Straße wirft und das dort Gelesene mit dem vergleicht, was von deutschen Kabarettisten in den öffentlichen Meinungskorridor geschleppt wird, kann es einem unbehaglich werden…..Beide, Kabarettisten wie Zornbürger, eint eine Grundannahme: Die Eliten, bestehend aus Politikern, Wissenschaftlern und Journalisten, müssen in ihrer Verlogenheit entlarvt werden.“
Dabei handele es sich um eine „unterkomplexe Aufklärungsmasche“, die eine Nachfrage nach einer neuen Kultur des Raunens und der Uneigentlichkeit“ bediene. Es existiere eine „klandestine Lust des Publikums“, dem offenbar langweilig gewordenen Aufklärungstext von Soziologen, Politikern, Virologen und Journalisten etwas hinter der Hand Gesprochenes gegenüberzustellen, das die Wahrheit zwar nicht lauthals infrage stellt, aber doch immerhin so tut als ob. Deshalb arbeiten Fernsehkabarettisten heute auch gern mit Statistiken, Grafiken und so genannten Eigenrecherchen an einer Art Spaßprojekt der Gegenaufklärung: Die Informationsgesellschaft wird mit ihren eigenen Mitteln parodiert und spaßeshalber widerlegt. Den offiziellen Experten ist nicht mehr zu trauen, der Kabarettismus ist die letzte Instanz der Wahrheitsfindung. “Dies reflektiere „ein grundsätzliches Missverständnis im Verhältnis des Kabarettismus zur informierten Öffentlichkeit. Diese ist, das suggeriert schon ihr Name, aufgeklärt, das Kabarett dagegen ist es nicht…. Komiker sind an die Stelle der Analytiker gerückt und weisen die Analytiker in die Schranken.“
Die Reduzierung des Kabaretts früherer Tage auf bloß schmunzelnde Randbemerkungen über das Weltgeschehen durch den erst 1967 geborenen Klute allerdings ist nicht weniger als absurd. Sie zeugt bestenfalls von bodenloser Unwissenheit und muss Werner Finck, Dieter Hildebrandt und andere hervorragende Kabarettisten der Vergangenheit im Grabe rotieren lassen.
Ebenso irreführend ist die erneute giftige Attacke auf Max Uthoff und Claus von Wagner, die Macher der ZDF-Kabarettsendung „Die Anstalt“, während ein Dieter Nuhr, der seine Intelligenz längst an der Garderobe des Mainstreams abgegeben hat, von Klute chronisch ungeschoren bleibt. Uthoff und von Wagner begehen eben die Todsünde, den neoliberal eingefärbten Filz der wirtschaftlichen, politischen und journalistischen so genannten „Eliten“, zu denen Klute sich ja sichtlich zählt, immer wieder zu recherchieren, das Ergebnis statistisch sowie grafisch zu darzustellen und durchaus sachkundig satirisch zu brandmarken. Dieses Vorgehen, eine Fortentwicklung des klassischen Kabaretts mit Mitteln des investigativen Journalismus, ist alles andere als „Gegenaufklärung“, bringt vielmehr düstere Wahrheiten ans Licht, die in Medienorganen wie der SZ chronisch nicht zu finden sind. Sigi Zimmerschied mag Fernsehkabarett generell als kleinsten gemeinsamen Nenner von „Aufklärung und Quotenangst, Radikalität und Proporz, Kämpferseele und Redakteurshirn“ bezeichnen und als „Kastratenballett“ ablehnen. Tatsächlich ist „Die Anstalt“ immer wieder ein Genuss für alle, die sich der Verdummung durch den Brei der wirklichen Gegenaufklärung – auch in den einflussreichen Medien – entziehen wollen, Aufklärung im besten Sinne.
Man muss wahrlich kein querdenkender Verschwörungstheoretiker sein, um das einträchtige neoliberale Miteinander von Wirtschaft, Politik und Medien zu geißeln und einer verlogenen Humanität zu zeihen. Dieser Filz liefert Millionen von Mitbürgern in Deutschland prekären Löhnen aus, fördert so den Rechtspopulismus, zerstört zunehmend die Demokratien und das gesellschaftliche Miteinander der Menschen in den westlichen Ländern, und er bugsiert zahllose Menschen in den wirtschaftlich schwachen Staaten in eine Perspektivlosigkeit, die ein wesentlicher Grund für die weltweite Migration ist. Kurz: Er ist höchst unverantwortlich und unmoralisch.
Soziologen, Psychologen und Philosophen wie Stephan Lessenich, Andreas Reckwitz, Rainer Mausfeld und Michael Sandel haben diese Missstände und ihre Hintergründe ebenso beschrieben wie der Papst sowie der derzeitige Dalai Lama, aber ihre Schriften gehören offenbar nicht zu Klutes Konstrukt einer „Informationsgesellschaft“. Die von ihm beschworenen Leitartikel und gesellschaftspolitischen Essays sind durch eine nahezu uneingeschränkte Akzeptanz des unsozialen Systems der „Märkte“ gekennzeichnet. Da werden etwa konkrete Vorschläge zu einer substantiellen Reduzierung der skandalösen, weltweiten Ungleichheit wie Steuererhöhungen auf hohe Einkommen zu jeder Zeit als gerade eben fehl am Platze gerügt oder gar als „Neiddebatte“ verunglimpft, da kann ein Bundesfinanzminister der SPD (!), der ein Hamburger Bankhaus mit üblen Steuertricksereien davonkommen ließ, die als Folge der Automatisierung sinnvollen, ja unumgänglichen Garantieeinkommen als „neoliberal“ ablehnen, ohne dass die Journaille gegen diese irrwitzige Verdrehung aufbegehrt.
Hilmar Klute sollte sich besser als bisher überlegen, was er als aufgeklärte „Bastionen der Hochkultur“ ansieht, und welchen Interessen er durch seine „mit der Regelmäßigkeit einer saisonalen Zwangshandlung“ (Sigi Zimmerschied) präsentierten Polemiken gegen das deutsche TV-Kabarett dient.