Wir alle tragen viele Bilder aus der Kindheit in uns. Eines davon mag das Bild frischen gekochten Schinkens sein, verführerisch serviert zum Spargel auf einer Porzellanplatte – wie gewachsen, mit Fettrand und fein duftend, etwa nach Wacholder. Gute Metzger bieten diese Köstlichkeit noch heute an.
In unseren Zeiten weit verbreiteten finanziellen Mangels werden die Essgewohnheiten der „Verbraucher“ freilich zunehmend vom Discounter bestimmt. Auch dieser vertreibt gekochten Schinken, typischerweise in Plastikverpackungen. So eine Packung hat der Chronist unlängst bei PENNY erworben – nicht ahnend, welche düsteren, zugleich aber tröstlichen Erkenntnisse ihm dadurch zuteil werden würden.
Die Abbildung auf der Vorderseite der Verpackung zeigt exakt den herrlichen gekochten Schinken, der dem erwähnten Kindheitsbild entspricht, anmutig gerollt und hübsch garniert mit roten Beeren und frischem Salat. Das Herz des Betrachters hüpft umso mehr, als zugleich vollmundig „Spitzenqualität“ und „Delikatess-Hinterschinken – gekocht“ versprochen wird, und davon 200 Gramm zu einem so niedrigen Preis! Betrachtet man die transparente Rückseite, so fällt allerdings auf, dass die Schinkenscheiben gänzlich rund sind, obwohl Schweine mit solchem Hinterlauf in unseren Breiten unbekannt sind. Näheres Hinsehen ergibt denn auch, dass es sich bei dem Hinterschinken um gepresstes Material handelt, also um irgendwie (wie eigentlich?) miteinander verbundene Teile verschiedener Schinken, womöglich gar Tiere.
Beim Öffnen der Verpackung entrinnt dieser eine wässrige Flüssigkeit. Dabei verbreitet sich ein unbestimmter Geruch, der daran erinnert, dass die chemische Industrie noch immer eine der Stützen der deutschen Wirtschaft ist. Nachdem auch der beherzte Biss in die Delikatesse nur einen Geschmack offenbart, der weniger an gekochten Schinken als an undefinierbar Gummieartiges erinnert, wandert das noch kauende Auge zurück auf die Vorderseite der Verpackung, wo ihr ganzer Inhalt beschrieben wird: „Schweinefleisch, Nitritpökelsalz (Kochsalz, Konservierungsstoff Natriumnitrit), Glucosesirup, Würze, Antioxidationsmittel, Natriumascorbat, Stabilisator Diphosphat, Aroma“ (ein Kontrollblick zum gekochten Hinterschinken bei ALDI ergab, dass dessen Konsistenz nicht wesentlich anders ist). Da fragt man sich unwillkürlich, ob man das Schweinefleisch nicht weglassen könnte, ohne dass Wesentliches verloren ginge.
Aber der hier sichtbar werdende Triumph der Chemie hat unzweifelhaft auch seine guten Seiten. Derlei stabilisierten „Schinken“ kann man in der geöffneten Packung eine kleine Ewigkeit lang irgendwo liegen lassen, ohne dass er seine rosarote Farbe verliert und Schimmelpilze oder sonstige Zeichen des Verfalls zeigt. Wer hartnäckig immer wieder Discounter-Kochschinken verzehrt, lagert zweifellos vielerlei konservierende Chemie in seinen Körperzellen ab, wird so bereits zu Lebzeiten mumifiziert und daher auch nach seinem Tode geraume Zeit präsentabel bleiben. Nicht zufällig spricht der Volksmund: „Du bist, was Du isst“. So wird in Zukunft mancher längst Verstorbene mit rosaroten Backen an Familienfesten teilnehmen können, weit ansehnlicher als die Mutter des Mörders in Alfred Hitchcock´s „Psycho“, die in ihrem Schaukelstuhl doch arg mitgenommen aussah.
Wieder einmal zeigt sich: Das chronische Lamentieren der Alten über die untergehenden, herrlichen Zeiten ist sinnlos. Jede neue Epoche hat ihre Vorzüge, auch die unsere.