Discounter-Kochschinken oder: Triumph der Chemie

7. März 2009 | Von | Kategorie: Teleskop

Wir alle tragen viele Bilder aus der Kindheit in uns. Eines davon mag das Bild frischen gekochten Schinkens sein, verführerisch  serviert zum Spargel auf einer Porzellanplatte –  wie gewachsen, mit Fettrand und  fein duftend, etwa nach Wacholder. Gute Metzger bieten diese Köstlichkeit noch heute an.

 

In unseren  Zeiten weit verbreiteten  finanziellen Mangels  werden die   Essgewohnheiten der „Verbraucher“ freilich  zunehmend vom Discounter bestimmt. Auch dieser vertreibt gekochten Schinken, typischerweise in  Plastikverpackungen.  So eine Packung hat der Chronist unlängst bei  PENNY erworben –  nicht ahnend, welche düsteren, zugleich aber tröstlichen  Erkenntnisse ihm dadurch zuteil werden würden.  

 

Die Abbildung auf der Vorderseite der Verpackung zeigt  exakt  den herrlichen gekochten Schinken,  der dem erwähnten Kindheitsbild entspricht, anmutig  gerollt und hübsch garniert mit roten  Beeren und frischem Salat. Das Herz des Betrachters hüpft  umso mehr, als zugleich vollmundig „Spitzenqualität“ und „Delikatess-Hinterschinken – gekocht“ versprochen wird,   und davon 200 Gramm zu einem so niedrigen Preis! Betrachtet man die transparente Rückseite, so fällt  allerdings auf, dass die Schinkenscheiben  gänzlich rund sind, obwohl Schweine mit solchem Hinterlauf  in unseren Breiten unbekannt sind. Näheres Hinsehen ergibt denn auch, dass es sich bei dem Hinterschinken um  gepresstes Material handelt, also um irgendwie  (wie eigentlich?)  miteinander verbundene  Teile  verschiedener Schinken, womöglich gar Tiere.

 

Beim Öffnen der Verpackung entrinnt dieser  eine wässrige Flüssigkeit. Dabei  verbreitet sich ein unbestimmter Geruch,  der daran erinnert, dass  die chemische Industrie noch immer eine der Stützen der deutschen Wirtschaft ist. Nachdem auch der beherzte Biss in die Delikatesse nur  einen Geschmack offenbart, der weniger  an gekochten Schinken als an  undefinierbar  Gummieartiges  erinnert, wandert das noch kauende Auge zurück auf die Vorderseite der Verpackung, wo ihr ganzer Inhalt beschrieben  wird:  „Schweinefleisch, Nitritpökelsalz (Kochsalz, Konservierungsstoff Natriumnitrit), Glucosesirup, Würze, Antioxidationsmittel, Natriumascorbat, Stabilisator Diphosphat, Aroma“ (ein Kontrollblick zum gekochten Hinterschinken bei ALDI ergab, dass dessen Konsistenz nicht wesentlich anders ist). Da fragt man sich unwillkürlich, ob man das Schweinefleisch nicht weglassen könnte, ohne dass Wesentliches verloren ginge.

 

Aber der hier sichtbar werdende Triumph der Chemie hat unzweifelhaft  auch seine guten Seiten. Derlei stabilisierten „Schinken“ kann man in der geöffneten Packung eine kleine Ewigkeit lang irgendwo liegen lassen, ohne dass er seine rosarote Farbe verliert und Schimmelpilze oder sonstige Zeichen des Verfalls zeigt. Wer hartnäckig  immer wieder Discounter-Kochschinken verzehrt, lagert   zweifellos vielerlei konservierende Chemie in seinen  Körperzellen  ab,  wird so bereits zu Lebzeiten mumifiziert und daher auch nach seinem Tode  geraume Zeit präsentabel  bleiben. Nicht zufällig spricht der Volksmund: „Du bist, was Du isst“. So  wird in Zukunft mancher längst Verstorbene mit rosaroten Backen an  Familienfesten  teilnehmen können, weit ansehnlicher als die Mutter des Mörders  in Alfred Hitchcock´s „Psycho“, die in ihrem Schaukelstuhl doch arg mitgenommen aussah. 

 

Wieder einmal zeigt sich: Das chronische Lamentieren der Alten über die untergehenden, herrlichen  Zeiten  ist sinnlos. Jede neue Epoche  hat ihre Vorzüge, auch die unsere.            

 

 

Schreibe einen Kommentar

Sie müssen eingeloggt sein, um einen Kommentar schreiben.