Schon in meiner Kindheit galt ich als unverbesserlicher Optimist. Ob es zu regnen begann, meine Eltern wieder einmal heftig miteinander stritten oder ein Atomkrieg drohte, stets verkündete ich die frohe Botschaft, das jeweilige Übel werde bald vergehen oder nicht eintreten.
Lange wurde mein Talent wenig geschätzt, da die Zustände auf Erden noch einigermaßen intakt waren. Der zweite Weltkrieg war vorbei, der Kapitalismus gab sich in den ersten Jahrzehnten danach sozial und das Klima auf Erden war erträglich, Außerdem endete der Kalte Krieg glücklicherweise ohne Atomschläge.
Die Entwicklung seither bedroht die Gattung Mensch jedoch zunehmend in ihrem Bestand. Das anhaltende globale Bevölkerungswachstum, die unaufhaltsame Erderwärmung mit der Folge einerseits weiträumiger Trockenheit sowie andererseits Sturm- und Flutkatastrophen, der übermäßige Ressourcenverbrauch, das Artensterben und der weltweit drohende Süßwassermangel verheißen nichts Gutes. Hinzukommt die aggressive Blockbildung autoritärer Staaten gegen Frieden und Freiheit, begleitet von einem vielfachem Rechtsruck in den demokratischen Staaten, der durch die unersättlich Superreichen vermittels Lobbyismus, Spenden, Übernahme von Medien, Korruption und Drohungen gefördert wird – mit der Folge einer immer größer werdenden, ungerechten finanziellen Ungleichheit. Das „Anthropozän“ erweist sich als ein Zeitalter ungehemmter Zerstörung. Kein Wunder, dass Optimismus vor diesem Hintergrund Mangelware geworden ist.
Daher habe ich bereits vor Jahren das start-up „OptiPro GmbH“ gegründet. Zweck der Gesellschaft ist es, selbst in aussichtslosen Lagen professionell Optimismus zu verbreiten.
Die ersten, noch bescheidenen Aufträge erhielt ich von deutschen Fußballvereinen wie dem TSV 1860 München und dem FC Schalke 04, die ich leicht davon überzeugen konnte, ihre Rückkehr in die Erstklassigkeit sei nur eine Frage überschaubarer Zeit. Weithin bekannt wurde ich erst durch die Teilnahme an Talkshows im In- und Ausland, in denen ich dafür sorgte, dass die anfangs kontrovers diskutierenden Teilnehmer sich schnell in den Armen lagen und gemeinsam an das Gute im Menschen glaubten.
Seither berate ich gegen hohe Honorare Vorstandsmitglieder zahlreicher internationaler Großunternehmen. Das ist nicht ganz einfach, da die Ziele beständigen Wachstums und zunehmender Profite angesichts der geschilderten Entwicklung und häufig gewordener Managementfehler – etwa in Form kurzsichtiger Investitionen in Ländern wie Russland und China – optimistische Betrachtungsweisen auszuschließen scheinen.
Dank meiner „Maxi-Modifiz – Methode“ ist es mir jedoch gelungen, meine Kunden von derlei Problemen nachhaltig abzulenken und ihre Aufmerksamkeit auf den zu erwartenden Fortbestand ihrer prächtigen Vergütungen und ebensolcher Dividendenausschüttungen zu richten, die bekanntlich dem einzigen Interesse ihrer Aktionäre entsprechen. Ihr Optimismus wird umso größer, wenn ich empfehle, eine Tarifbindung ihres Unternehmens zu vermeiden oder zu beenden, die Löhne der Belegschaft ohne volle Anpassung an die Inflation auf niedrigstem Niveau zu halten und bereits eine geringfügige Reduzierung von Milliardengewinnen des Unternehmens durch Werksschließungen, Massenentlassungen und Verlegung der Produktion ins kostengünstige Ausland auszugleichen, selbstredend bei Fortzahlung hoher Dividenden.
Die mittlerweile auch zu meiner Klientele gehörenden führenden Politiker westlicher Demokratien sind relativ leicht in eine optimistische Grundhaltung zu versetzen, da sie seit jeher ein gestörtes Verhältnis zur Realität haben. Sie weigern sich beispielsweise zu begreifen, dass die Bedienung vor allem der ultrareichen „Eliten“ nach und nach die Demokratie zerstört und eine wesentliche Ursache der rechtsextremen Wahlerfolge darstellt. Auch vermeiden sie jede Erkenntnis und Konsequenz daraus, dass die Migration in ihre Länder auch Folge deren anhaltender spätkolonialer Wirtschaft ist. Und wenn Einzelne in schwachen Stunden dennoch zur Besinnung neigen, rate ich ihnen dringend, die Asylgewährung ihrer Länder bis zur Unkenntlichkeit zu reduzieren und im Übrigen zu verkünden, sie müssten ihr segensreiches Wirken der Unterschicht und dem besorgten Mittelstand nur besser erklären. All dies ist von meinen Kunden mit großer Resonanz und dankbarem Optimismus aufgenommen worden.
Der wirtschaftliche Erfolg der – vorsorglich für mich haftungsbeschränkenden – OptiPro GmbH ist so fulminant, dass mittlerweile lukrative Übernahmeangebote internationaler Großinvestoren vorliegen. Mit dem Verkauf würde ich mich allerdings in die obszön Bereicherten einreihen, und da der Mensch nun einmal schwach ist, besteht die Gefahr, dass auch ich mir ihre unverantwortlichen Verhaltensweisen zulege. Die Versuchung, eines der Angebote anzunehmen, ist dennoch groß, da mir das mehrjährige Navigieren um widrige Umstände neuerdings einen burn-out beschert hat, der mit massiven Depressionen einhergeht.
Die mich betreuende Psychologin hat mir nahegelegt, meinen Optimismus dadurch wieder zu beleben, dass ich mir die positiven Folgen eines Untergangs des „homo sapiens“ für die übrige Fauna und die Flora auf Mutter Erde ausmale. Und mit diesem erlösenden Gedanken – auch daran, dass es dem Eisbären so vielleicht doch noch erspart werden kann, erneut braun zu werden oder auszusterben – sehe ich der Zukunft tatsächlich wieder frohgemut entgegen!