Papst Benedikt XVI. ist ein strenger Mann, der hohe moralische Anforderungen an andere stellt. Wenn es um die Interessen der katholischen Kirche geht, ist er – wie so viele Päpste vor ihm – flexibler.
Das schreiende Unrecht, das China den Tibetern seit Jahrzehnten antut und nun zu den Unruhen in den von China okkupierten tibetischen Gebieten geführt hat, wurde von Papst Benedikt XVI. zu keinem Zeitpunkt beanstandet. Anders als Johannes Paul II., der mit dem Dalai Lama mehrfach zusammentraf, hat Benedikt XVI. es sogar abgelehnt, das geistige Oberhaupt der Tibeter bei dessen Rom-Besuch im Dezember 2007 auch nur zu empfangen.
Zu den Gewaltakten der Chinesen gegenüber den Tibetern in jüngster Zeit hat Benedikt XVI. zunächst tagelang geschwiegen und schließlich nur verlauten lassen, mit Gewalt würden keine Probleme gelöst, sondern sie verschlimmerten sich noch – eine ambivalente Erklärung, die zumindest auch das nicht gewaltfreie Verhalten der protestierenden Tibeter beanstanden konnte. Obwohl dieses Vorgehen des Papstes vor allem in Italien auf Kritik gestoßen war, erwähnte Benedikt XVI. den Konflikt um Tibet auch in seiner Osterpredigt erneut nur äußerst vorsichtig, indem er auf die Konflikte in Darfur und Somalia verwies und dazu aufrief, „an den gepeinigten Nahen Osten zu denken – vor allem an das Heilige Land, an den Irak und den Libanon – und schließlich an Tibet.“ Für diese Regionen unterstütze er die Suche nach Lösungen, „die das Wohl und den Frieden schützen.“
Diese Zurückhaltung hat ihren Grund: Im Jahr 1951 brach China unter Mao Zedong mit der katholischen Kirche und gründete eine staatlich kontrollierte „Patriotische katholische Vereinigung“, der nach chinesischen Angaben inzwischen etwa fünf Millionen Chinesen angehören. Die im Untergrund aktive, Rom-treue Kirche hat dagegen etwa zehn Millionen Mitglieder; sie leidet trotz der Liberalisierung seit Deng Xiaoping auch heute noch unter Repressalien. Benedikt XVI. arbeitet in einem „gelassenen und konstruktiven Dialog mit den staatlichen Autoritäten“ Chinas intensiv daran, dieses Schisma aufzulösen, zumal er China als Tor für die Missionierung Asiens durch die katholische Kirche ansieht. Diesem Ziel will der Papst entsprechend einer chinesischen Forderung offenbar sogar die diplomatischen Beziehungen des Vatikans zu Taiwan opfern.
Die Unruhen in Tibet erwischten Benedikt XVI. ersichtlich auf dem falschen Fuß, schloss der Vatikan nach einem Bericht der Süddeutschen Zeitung vom 22./23. März 2008 doch gerade geheime Verhandlungen mit chinesischen Regierungsvertretern ab. Da wären klare Worte des „heiligen Vaters“ über das Vorgehen der Chinesen in Tibet ja auch kontraproduktiv gewesen…..
Die Geschichte der katholischen Kirche ist durch eine allzu häufige Anpassung an die Mächtigen gekennzeichnet. Diese Tendenz begann nicht erst mit Pius XII. Wie man nun wieder am Beispiel Tibets sieht, endete sie auch nicht mit der Unterdrückung der lateinamerikanischen „Theologie der Befreiung“ in den achtziger Jahren durch den „heiligen Stuhl“. Wird man im Vatikan eines Tages noch begreifen, dass der Erfolg von Religionsgemeinschaften und die Autorität ihrer religiösen Führer langfristig nur durch den Einklang der Botschaft mit dem eigenen Tun befördert werden?