Corona oder Koronar?

29. März 2020 | Von | Kategorie: Mikroskop

Von Prof. Dr. Hans-Henning von Winning

Todesursachen: Einige scheinen eindeutig und konsensuell definierbar („Autounfall“). Aber: je älter, um so grauwertiger, da verschiedene Ursachen sozusagen konkurrieren: Wer heute am Herzinfarkt stirbt, hat morgen den Tod durch Lungenkrebs, Leberzirrhose und (nicht: oder!) immer noch Autounfall knapp verpasst. Beste Beschwörung durch Hausarztsprech („Tod durch Herzstillstand“ oder „Herzstillstand durch Tod“?). Gut kennen das Versicherungen und prüfen genau, ob der moribunde Opa zur Verdoppelung der LV-Auszahlung bei Unfall schnell noch seinen alten BMW vor den Brückenpfeiler… Auch Corona-Kranke können ermordet werden.


Ursachenkonkurrenz: Sie lohnt nähere Betrachtung. Man könnte Todesursache als Aggregat der Wahrscheinlichkeiten verschiedener Ursachen formulieren. Innere und äußere Einflüsse und Zufälle produzieren dabei vermutlich hohe Varianzen. Das gilt sicher für Einzelschicksale; statistische räumliche, zeitliche, soziale oder sachliche Aggregate dürften die Ausschläge teilweise glätten, teilweise aber auch verstärken. Das ist eine teuflische Gemengelage für seriöse Analysen: Einzelne Kausalketten mögen unbestreitbar sein, aber ob sich (räumliche, zeitliche, soziale oder sachliche) Dynamiken überhaupt zu Gesetzmäßigkeiten fügen, die wissenschaftlich erkennbar wären und gar Prognosen zulassen, scheint mir sehr fraglich. Eher sehe ich da chaotisch oszillierende Grauwerte und Wellenbewegungen, vielleicht darstellbar in einem Animationsfilm.


Viren, Bakterien: Mikroben als (wechselweise) Fresskonkurrenz aber auch Kooperationspartner (Bier, Pest, Verdauung …) sind wohl potenziell sehr ernsthafte Gegner, z.B. wegen ihrer genetischen Flexibilität. Ihr Mutationspotential mit einer Generationenfolge von 2 Stunden lässt erstaunen, dass wir bislang sogar beim Antibiotika-Wettlauf einigermaßen mitgehalten haben. Ich kann mir nur erklären, dass auch Mikroben extreme, unsystematische Bevölkerungswellen haben; schicksalhafte Umstände und eigene (Schwarm- oder Generalitäts-) Blödheit bescheren ihnen ebenso unvorhersehbare Auf- und Abstiege wie z.B. den Osterinsel- oder Öl – Zivilisationen. Noch wichtiger: Mit uns leben ständig Millionen Mikrobensorten. Aber benannt oder gar mit Eigenarten bekannt ist davon nur ein unbekannt winziger Anteil, der (s.o.) auch noch ständig erratisch seinen Hut wechselt. Ein ebenfalls unbekannter und unerkennbarer Teil davon erzeugt sicher auch subjektiv unterschiedlich Stress/Unwohlsein /Krankheit und gelegentlich Tod; davon wiederum nur ein (ich behaupte: sehr kleiner!) Teil bei manchen von uns zeitweise den Ruf „Krankheit! Arzt!“. Ärzte halten dann diesen Anteil gelegentlich für das Ganze, sodass bei diesen (unwissenschaftlichen, willkürlichen) Ausschnitten Mortalitätsraten von 3% (von was?) gern gehört werden; nicht seriöser wären Mortalitätsprognosen von 30%, 0.003%, oder 0,000.003%. Natürlich gibt es die spanische Grippe, aber ich halte es für unwahrscheinlich, dass wir sie erkennen und bekämpfen können. Auch hier mahne ich dringend mehr wissenschaftliche Bescheidenheit an.


Wissenschaftliche und politische Märkte: Diese Diskussion wird nicht gern geführt und gehört. Statistik-Fallen sind schlampige und falsche Kausalitäten oder Repräsentativitäten, ebenso wie plakativ überzeugende
Einzelkausalketten. Und: Wissenschaftler werden für Ergebnisse, Ärzte für Behandeln, und Politiker für Entschlossenheit geliebt, geehrt und bezahlt. Und für Ratlosigkeit und Geschehen-Lassen ignoriert oder bestraft. Welche systematische Schieflagen muss man ihnen (individuell, insbesondere aber institutionell) also leider unterstellen? Ein Grund dafür ist vielleicht eine evolutionäre Angstdisposition des sapiens, bei gleichzeitig gelungener Verdrängung der Gefahren. Da muss man sich dann halt welche suchen. Und die Vielen, die sich oben drauf setzen wollen, bedienen das mit passende Höllenqual und Heilsversprechen, Bedrohungen und Erlösungen. Am einfachsten und billigsten selbstverstärkend auf bestehenden Ansätzen (Corona, gern auch 4 oder 5 letter words ATOM, OZON, INRI, FCKW, Gates, Apple, Klima …). Statt mit Sachverhalten wird mit Befindlichkeiten gehandelt – bei mehrheitlichen unter Demokratievorwand. Es gibt keinen Unterschied mehr zwischen mad cow disease und mad coward disease. So könnte Corona zum Riesen geworden sein.


Schlussfolgerungen: Multiple Variablen und höchste Varianzen durch räumliche, zeitliche, soziale und sachliche Dynamiken lassen kaum die Ableitung von Gesetzmäßigkeiten bei der Analyse zu, und noch weniger Prognosen. Handlungsanweisungen werden dann zum hohen Anteil von eigennützigen Motiven der Akteure bestimmt. Auch das gehört zu Wissenschaft und Rationalität. Wir haben keine Ahnung, ob Corona nur Grundrauschen oder eine winzige Beule darauf ist, und ob unsere Maßnahmen nicht vor Allem üble (Neben-)Wirkungen haben. Wo ihm die
Götter nichts mitzuteilen haben, bleibt dem Epikureer nur gelassenes Vertrauen in das Leben samt seiner Unerkenn- und Unvorhersehbarkeit, und Klugheit und Leidenschaft bei der Verteidigung von Rationalität,
Liberalität und Humanität. Die Menschen bleiben gefährlich, Corona wäre angemessen verzwergt.

(Prof. Winning ist Architekt und Verkehrsplaner)

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