Der Mensch strebt nach Glück – eine Binse. Aber was ist unter Glück zu verstehen, und wie erreicht man es? Mit diesen Fragen beschäftigen sich die Philosophie und die großen Religionen seit Jahrtausenden, in neuerer Zeit auch die Biologie, die Psychologie, die Soziologie und die Glücksforschung. Hinzukommt inzwischen ein ständig wachsender Markt mehr oder weniger trivialer Ratgeber.
Nach Auffassung altgriechischer Philosophen, beispielsweise des Aristoteles, ist die Glückseligkeit (eudaimonia) Folge einer gelungenen, frei gewählt tugendhaften Lebensführung, die laut Aristoteles allerdings geeignete Lebensumstände und die allmähliche, übende Ausprägung eines ethischen Charakters voraussetzt.
Das Neue Testament verweist in Sachen Glück vor allem auf das Jenseits. Auch Augustinus war der Auffassung, der Mensch erhalte Glück nicht durch irdische Güter, sondern allein durch Gott – eine Vorstellung, der (Dawkins würde wohl sagen: in selbstverschuldeter Unmündigkeit) noch Immanuel Kant weitgehend anhing.
Die Aufklärung löste den Menschen nach und nach zunehmend von christlichen Überzeugungen und den Bindungen an Gemeinschaften und führte zu einer Erweiterung der Vorstellungen über das Glück und seine Voraussetzungen. So stellte Ludwig Marcuse in seiner „Philosophie des Glücks“ (1949) fest, es gebe so viele Ansichten über das Glück wie Philosophen.
In neuerer Zeit wird Glück häufig mit subjektivem Wohlbefinden gleichgesetzt. Dem entsprechen allerlei Versuche, durch Umfragen zu ermitteln, wer wo wie glücklich ist, wobei die Ergebnisse in Relation zu Faktoren wie soziale Beziehungen, Einkommen und Gesundheit gesetzt werden. Dies, obwohl die Auswirkungen der wesentlichen äußeren Umstände auf das Wohlbefinden längst bekannt sind. Gute persönliche Beziehungen etwa sind zuträglich. Gleiches gilt für eine befriedigende finanzielle Versorgung, wobei ein Übermaß nicht mehr glücksfördernd ist. Der Erwerb von Gegenständen löst nur kurzzeitig positive Gefühle aus. Und gesundheitliche Probleme haben nicht notwendig dauernden negativen Einfluss auf das Wohlbefinden; selbst eine schwere, lebensbedrohende Krankheit muss nicht zur Verzweiflung, sondern kann zu einem erhöhten Genuss der verbleibenden Lebenszeit führen. Schließlich spiegeln die Antworten der Befragten häufig nur ihre momentane Stimmung im üblichen menschlichen Chaos. Die Ergebnisse solcher Umfragen sind denn auch nicht immer überzeugend. Da geschieht es schon mal, dass chronische Bedenkenträger wie die Deutschen („German Angst“) in einer Umfrage relativ gut abschneiden, oder die Finnen trotz der stimmungstötend geringen Lichtausbeute in nördlichen Gefilden und hoher Selbstmordraten als die glücklichsten Europäer gelten….
Ohnehin ist die Gleichsetzung von subjektivem Wohlgefühl mit Glück arg kurz gesprungen, denn dann wären Psychopharmaka ein akzeptabler Weg zum Glück. Ebenso wenig erleuchtend sind laut Yuval Harari (Eine kurze Geschichte der Menschheit) die Forschungsergebnisse der Biologen, die primär auf angenehme körperliche Empfindungen abstellen und dabei das Gebaren der menschlichen Innereien betrachten, unter anderem die jeweils ausgeschütteten Botenstoffe. Abgesehen davon, dass diese das Wohlbefinden fördernden Umstände laut Harari eher der Evolution, insbesondere der Fortpflanzung, als dem Glück dienen und daher vom System immer wieder heruntergefahren werden: Auch hier wären chemische Stoffe geeignet, individuelles Glück zu fördern, das dabei unmenschlich würde, man denke nur an die Droge „Soma“, die den Menschen in Aldous Huxleys „Brave New World“ andauernd verabreicht wird. Auch wäre ein jeder frei gewählten ethischen Dimension entkleidetes, egozentrisches Wohlbefinden schal.
Und so kommt die Glücksforschung im Lichte der Bemerkung Sigmund Freuds, Glück sei als Grundzustand im Schöpfungsplan des Menschen nicht vorgesehen, kaum voran. Zum Glück gilt jedoch auch hier die alte Weisheit, wonach alles Wesentliche schon gesagt und geschrieben, also vorhanden ist, nur nicht genügend beachtet wird.
Der Buddhismus ist die einzige Weltreligion, deren Philosophie und Psychologie man sich auch ohne die religiösen Aspekte (hier insbesondere: Wiedergeburt oder Nirwana), gewinnbringend zu Gemüte führen kann. Er befasst sich seit jeher intensiv mit dem menschlichen Glück und hat die damit zusammenhängenden wichtigsten Fragen bereits vor mehr als zwei Jahrtausenden überzeugend gelöst. Buddha (Siddharta Gautama), der um 500 v.Chr. in Indien lebte, erkannte unter anderem zweierlei: Das ständigem Wandel ausgesetzte so genannte „Ich“ des Menschen einschließlich seiner Empfindungen ist nicht mehr als eine unstete Schimäre, zumal auch das Denken schwankt und allenfalls Vergangenes reproduziert. Zum anderen ist das beständige Bestreben des Menschen, ihm genehme Gegebenheiten herbeizuführen bzw. aufrechtzuerhalten und Unangenehmes zu vermeiden (die „Gier“), das ihn von der jeweiligen Gegenwart trennt, die entscheidende Quelle von Unglück. Diese Jagd gilt es zu beenden, dann wird der Geist klar und frei. Eine heitere Zufriedenheit stellt sich ein, die nichts will und akzeptiert, was geschieht. Ähnliches findet sich in der späten Stoa bei Epiktet (50 – ca. 138 n. Chr.), bezeichnenderweise lange nach dem Zug Alexanders des Großen nach Indien.
Im buddhistischen „Großen Fahrzeug“ (Mahayana) ist diese persönliche Freiheit durch die tätige Fürsorge für andere erweitert. Die Mitmenschen werden als Brüder und Schwestern betrachtet, denen beizustehen nicht zuletzt dem Gebenden zugute kommt, weshalb vor allem er sich bei den von ihm Beschenkten zu bedanken hat.
Der Einwand, die geschilderte Zufriedenheit sei gegenüber dem Glück ein Weniger, ist vermessen; wer sie erreicht hat, fühlt sich wohl und braucht kein Mehr. Ebenso wenig überzeugend ist der Einwand, die soeben skizzierte Haltung führe zu unproduktiver Passivität. Zum einen betrifft sie nicht die äußere Schale, sondern nur das Innere der geistigen Zwiebel; Hermann Hesse hat in seinem „Siddharta“ überzeugend dargestellt, wie spielerisch, angstfrei und gerade deshalb erfolgreich dieser Geschäfte betrieb, solange seine Vorhaben ihn nicht tief im Inneren unfrei werden ließen. Überdies wäre es, worauf der wunderbare Taoist Lao-Tse vielfach poetisch hinwies, durchaus zum Vorteil der Gattung Mensch und unseres geplagten Planeten, wenn der „homo sapiens“ weniger aktiv wäre.
Beenden wir also das Bestreben, glücklich zu werden und zu bleiben, es wird uns gut tun. Auch den Weg dahin hat Buddha gewiesen. Er beginnt mit Übungen, unangenehme Situationen als willkommenen Anlass für inneres Wachstum zu verstehen sowie gelassen hinzunehmen, und sich liebevoll anderen zuzuwenden. Hilfreich sind nicht zuletzt Meditationen, die erwiesenermaßen zugleich gesundheitsfördernd sind. Der Weg lohnt sich.