Die Sommerzeitmaschine

25. März 2018 | Von | Kategorie: Teleskop

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Zu den Vorzügen des Alters gehört die aus Erfahrung gewonnene Erkenntnis, dass der Mensch ein hoffnungsloser Fall und der Untergang der Gattung nur eine Frage überschaubarer Zeit ist. Nachteilig erscheint dagegen, dass Bejahrte im Übrigen zur Verwirrung neigen, unter anderem in den Monaten März und Oktober, wenn aufgrund des Beginns oder des Endes der Sommerzeit  die Uhren eine Stunde vor- oder zurückzustellen sind. Nicht jedem will  diese Manipulation, über deren tieferen  Sinn wir hier den Mantel gnädigen Schweigens  ausbreiten,  in gehörigem Maße gelingen, weshalb sich mancher faltige Zeitgenosse in den genannten Monaten gelegentlich verfrüht oder verspätet auf irgendeinen Weg macht.

So stellte der 71 Jahre alte ehemalige Buchhalter Otto P. aus München (Beruf, Name und Daten verändert) seine Armbanduhr  nicht wie geboten  in der Nacht vom 25. zum 26. März 2017,  sondern bereits am frühen Morgen des 25. März um eine Stunde vor.  Prompt  fand er sich an jenem Tag zu einem verabredeten Abendessen eine geschlagene Stunde zu früh in einer Gaststätte ein. Dies erwies sich  als nicht weiter schlimm, da P. von den braven Wirtsleuten schon  kurz darauf taktvoll auf die wahren Gegebenheiten hingewiesen wurde und die aufgetretene Kluft durch einen Spaziergang überbrückte. Bemerkenswert ist jedoch, dass das Ereignis den Belehrten an einem alterstypischen Scheideweg hinterließ:  Ein Pfad  führt unmittelbar  in die Depression, der zweite zur Gelassenheit und der dritte verspricht wundersame Höhen. P. wählte entschlossen  den letzteren.

Bereits am nächsten Tag verkündete er  unter eingehender  Nutzung aller seinem hilfreichen  Enkel bekannten Einrichtungen  der  „sozialen“  Netzwerke, es sei ihm – nach 71 in relativer Bedeutungslosigkeit verlebten Jahren  – gelungen, nahezu 12 Stunden lang unbehelligt  in der Zukunft zu leben und damit auch ohne Beanspruchung  des Weltraum die von H.G. Wells bereits im Jahr 1895 propagierte Zeitmaschine  Realität werden zu lassen. Vermittels  seiner Erfindung habe er überdies epochale  Einsichten gewonnen, die er der Menschheit demnächst zusammen mit den technischen Details seiner Entwicklung unentgeltlich  zur Verfügung stellen wolle und werde. Entgegen dem unheilvollen neoliberalen Denken dürfe nicht alles in Geld bewertet und umgesetzt werden.

Es versteht sich, dass P. flugs weltweit Aufmerksamkeit, ja Berühmtheit, erlangte und danach in keiner Talkshow fehlte, obwohl oder gerade weil er es lange  bei seinem Versprechen beließ und trotz drängender Fragen sensationdurstiger Medienvertreter  und zahlreicher in- und ausländischer Geheimdienste keinerlei  Einzelheiten seiner Entwicklung und Erkenntnisse preisgab. Den weiteren, schließlich doch in der Depression  gelandeten  Lebensweg des  P. werden wir  –  aufgrund eines  Wunsches des ebenfalls vor geraumer Zeit geborenen, verwirrten  Verfassers dieser Zeilen, den  größten Umfang der vorstehenden Absätze auch hier  keinesfalls zu überschreiten – nicht näher beschreiben. Basta.

 

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