Die westlichen Demokratien wanken. Zahlreiche konservative Altparteien wie die CDU/CSU versprechen vor den Wahlen jeweils allerlei Gutes und Schönes, die von ihnen gestellte Regierung bedient dann jedoch primär die Wirtschaft und deren „Eliten“, denen sich die Parteioberen offensichtlich – in Überschätzung ihrer Rolle – zugehörig fühlen. Abgesehen davon sind sie, regelmäßig von Intrigen und sonstigen internen Machtkämpfen geprägt, kaum noch handlungswillig und -fähig. Die ehemals immerhin rosaroten herkömmlichen sozialdemokratischen Parteien wie die SPD haben während jahrzehntelangen Daseins in der „Mitte“ ihre Orientierung und den Willen eingebüßt, die Interessen ihrer natürlichen Klientele, der ungerecht benachteiligten großen Mehrheit der Bevölkerungen, wahrzunehmen. Die linken („roten“) Parteien überzeugen programmatisch und personell wenig und sind traditionell allzu zerstritten. Die anderen Kleinparteien wie die deutschen Grünen leben nur übergangsweise von den Krümeln, welche ihnen die Großen überlassen haben, oder halten sich länger bzw. kehren zurück, wenn sie konsequente Lobby-Politik betreiben wie die FDP für die Reichen. Sie dienen im Wesentlichen nur als Steigbügelhalter für die Macht anderer und werden dafür mit lukrativen Ministerposten belohnt.
Aus diesem von Austrocknung bedrohten Sumpf wachsen seit einiger Zeit alte und neue rechtspopulistische Parteien hervor, neuerdings aber auch machthungrige Solisten. Eintänzer, als „Schöner Gigolo, armer Gigolo“, schon immer zwielichtig, übernehmen typischerweise im Handstreich eine heillos dahinsiechende Altpartei (oder gründet kurzerhand eine neue), die sie zum bloßen Wahlverein zugunsten ihrer Person degradieren. Als vermeintliche Lichtgestalten verführen auch sie zahllose Wähler mit einfachen, populistischen Antworten auf komplizierte Fragen und behaupten geschickt, sich fortan der benachteiligten Vielen im Lande annehmen zu wollen. So generieren sie beachtliche Wahlerfolge, auch indem sie einen Teil der resignierten Nichtwähler wieder zu den Urnen führen. Zugleich bedienen die Eintänzer stille Sehnsüchte großer Teile des Wahlvolkes nach der erlösenden Führungsfigur, die „endlich mit dem Parteiengesocks aufräumt“, was mittlerweile, mehr als siebzig Jahre nach Mussolini und Hitler, in Europa wieder gesellschaftsfähig wird. Beispiele europäischer Eintänzer aus jüngster Zeit sind Matteo Renzi, Emmanuel Macron, Sebastian Kurz und Christian Lindner. Martin Schulz ist in dieser Runde eher ein Behinderter, da er nicht über den unbedingten Machtwillen eines erfolgreichen Eintänzers verfügt und sichtlich schon an der Domestizierung des SPD-Vorstands scheitert, dessen Mitglieder ihm neuerdings nach Kräften Knüppel zwischen die Beine werfen.
Die Frage, wie es mit den schwächelnden Demokratien unter dem wachsenden Einfluss von Eintänzern weitergeht, ist von Fall zu Fall unterschiedlich zu beantworten. Während Recep Tayyip Erdogan die Türkei direkt in eine immer übler werdende Diktatur steuert, wird der Narzisst Donald Trump, wenn er nicht über eine kriminelle Vergangenheit oder die Themen Mafia und/oder Russland stolpert, von nun an wohl weniger Anlässe für ein Impeachment liefern, so dass er vermutlich erst bei der nächsten Präsidentenwahl in der Versenkung verschwinden wird, da die Republikaner an einem vorzeitigen Ende seiner Präsidentschaft nicht interessiert sein können. Selbst Trumps tumbste Anhänger werden im Laufe der Jahre begreifen, dass er sie nur an der Nase herumgeführt hat. Österreich ist zumindest indirekt bereits weitgehend rechtspopulistisch gesteuert, aber – pardon – wenig wichtig. Emmanuel Macron wird wohl scheitern, zumal die französische Wirtschaft international wenig wettbewerbsfähig ist, die von ihm geplanten neoliberalen Maßnahmen den weiteren Erfolg der Marine Le Pen befördern werden und Deutschland den neuen französischen Präsidenten nicht genügend stützen wird. Auch in dem desolaten Italien mit seiner stagnierenden Wirtschaft winken keine Wunder, wenn Matteo Renzi wie zu erwarten wieder an die Macht kommt. Die Eintänzer brennen eben regelmäßig nur Strohfeuer ab, die wieder erlöschen, bevor schwierige Probleme gelöst werden können. Sie können breit aufgestellte Parteien, die entsprechend der Idealvorgabe des deutschen Grundgesetzes an der Willensbildung des Volkes mitwirken, kaum ersetzen.
Die deutsche Demokratie ist noch vergleichsweise stabil, was nicht zuletzt an Angela Merkel liegt, die zwar stur weiterhin die Ungleichheit im Lande befördert, aber noch immer über einen genialen Machtinstinkt verfügt, der es ihr beispielsweise eingibt, ihr umfassendes Versagen in Sachen Niedriglöhne, Altersarmut, Sozialabgaben, Steuern, Europa usw. hinter Thesen zu verbergen, die den wirtschaftlichen Erfolg „Deutschlands“, und die geringe Arbeitslosigkeit beschwören, und das noch immer gern mit dem zynischen Satz, sozial sei, was Arbeit schaffe. Selbst wenn die SPD nach der nächsten Bundestagswahl in die Opposition wechselt, was ihr zu wünschen wäre, wird die untote FDP der CDU/CSU wie früher wieder zur Macht verhelfen. Gleiches gilt notfalls für die Grünen, die knapp noch einmal in den Bundestag kommen dürften; ihre Entscheidung, sich in Schleswig-Holstein als unbedeutender Koalitionär für eine Jamaika-Koalition herzugeben, deutet allerdings darauf hin, dass sie ebenso wild zum Selbstmord entschlossen sind wie viele Jahre lang die SPD.
Die EU aber ist – auch angesichts der weithin grassierenden personellen und nationalen Egoismen – bei näherer Betrachtung mittelfristig in höchster Gefahr.
(Unser Foto oben zeigt Walter Matthau in dem Eintänzer-Film „Tango gefällig ?“ aus dem Jahr 1997 (mit Jack Lemmon))