Der Jubel über das Ergebnis der französischen Präsidentenwahl hat kurze Beine. Selbst wenn Emmanuel Macron bis zu den Parlamentswahlen in rund sechs Wochen aus seiner Bewegung „En Marche“ eine schlagkräftige Partei formiert und diese ein positives Wahlergebnis erzielt, werden er und seine Regierung die anstehenden nationalen Aufgaben kaum lösen und zudem erheblicher deutscher Unterstützung bedürfen, deren Gewährung derzeit noch alles andere als gewiss ist.
Der Plan, 120.000 Beamte zu entlassen und den Arbeitsmarkt durch Reduzierung des Kündigungsschutzes und Abschaffung der 35-Stunden-Woche zu flexibilisieren, wird die bekannten Reflexe auslösen und zu sozialen Verwerfungen führen, zumal Macron gleichzeitig die Unternehmenssteuern senken will und – abgesehen von einer Verbesserung der Ausbildung sozial benachteiligter Kinder in den Banlieues – wenig mit kurzfristig greifbarer Wirkung zugunsten der sozial Schwachen im Sinn hat. Zudem wird das Vorhaben, in Frankreich die Mitbestimmung einzuführen, um ihren Einfluss fürchtende Gewerkschaften auf die Barrikaden treiben. Macron, dessen Vorstellungen im Kern neoliberal sind, ist ebenso wenig ein Sozialreformer wie Martin Schulz; er ist Produkt elitärer Erziehung, die erfahrungsgemäß dazu neigt, egozentriertes Leistungsdenken an die Stelle sozialen Miteinanders zu setzen. Selbst wenn es ihm gelingt, seine Pläne umzusetzen, wird er damit die Ungleichheit fördern und die Spaltung der französischen Gesellschaft noch vertiefen. Dies aber wird Marine Le Pen ebenso wie Jean-Luc Mélenchon weitere Wähler bescheren; die weitgehende Abstinenz der Anhänger des Letzteren bei der Stichwahl am Sonntag war nicht zufällig.
Es kommt hinzu, dass Macron für sein nicht weniger als 50 Milliarden Euro umfassendes Investitionsprogramm erhebliche Hilfeleistungen Deutschlands benötigen wird. Hierzu ist, wie die deutsche Verteidigungsministerin bereits am Wahlabend verkündete, Berlin jedoch offenbar alles andere als bereit. Danach will das Duo Merkel/Schäuble an der Austeritätspolitik festhalten und weiterhin die altbekannte, moralisch verbrämte Botschaft verbreiten, Frankreich und andere Länder müssten erst aus eigener Kraft stark werden, bevor eine vertiefte wirtschaftliche und finanzielle Integration der EU und womöglich auch offene Transferleistungen diskutabel würden. Dass der Exportweltmeister Deutschland den kommunizierenden Röhren der EU seit vielen Jahren auch zu Lasten Frankreichs erhebliche finanzielle Vorteile entnimmt und anderen EU-Staaten wertvolle Arbeitskräfte entzieht, wird dabei unverändert verdrängt. Auf seine besondere Weise gehört eben auch Deutschland zu den Staaten der EU, die mehr und mehr in geschichtsvergessenen Nationalismus abgleiten. Ein Herzensanliegen Angela Merkels war die EU nie.
Die Wahl Macrons gewährt nicht mehr als einen zeitlichen Aufschub. Ohne wesentliche Unterstützung von Seiten Deutschlands wird der neue französische Präsident die vielen arbeitslosen und sonst im Abseits stehenden Franzosen auf dem Land und in den Vorstädten in den nächsten fünf Jahren nicht genügend auf seine Seite ziehen können, zumal ihre Lage und Perspektiven sich in absehbarer Zeit anders nicht wesentlich verbessern werden. Und Marine Le Pen wird Macron dicht auf den Fersen bleiben. Sie kann in Ruhe abwarten und – wie bereits angekündigt – ihre Basis ausbauen. Wenn Deutschland nun nicht eine Kehrwende vollzieht und Macron schnell mit substantiellen Leistungen stützt, ist die Europäische Union, dieses seltene Beispiel menschlicher Vernunft, spätestens bei der nächsten Präsidentenwahl am Ende. Dann wird der Jubel endgültig zum Katzenjammer.