Nonfaktisch

10. Dezember 2016 | Von | Kategorie: Teleskop

affe_350

Der Begriff „postfaktisch“ führt in die Irre, da er impliziert, dass der Gegenwart Besseres vorausgegangen ist, also jemals Fakten für das menschliche Handeln eine  entscheidende Rolle spielten.  Dies aber war, wie an den Ereignissen der letzten 5000 Jahre unschwer abzulesen, nur selten der Fall. Entscheidend steuern den Menschen weder Tatsachen noch Verstand,  sondern Gefühle. Schon Tucholsky sagte: „Jeder sieht nur, was er sehen will.“ Präziser den Tatbestand treffend wäre daher „nonfaktisch“.

Auch  die Hoffnung, die Entlassung des „homo sapiens“ aus dem Gefängnis der inneren Bevormundung durch die Aufklärung werde ihn von seiner  Unmündigkeit befreien, war von Anfang an illusorisch; individuelle Freiheit überfordert die Gattung, geistig wie sozial, befördert vor allem eine Epidemie narzisstischer Egomanie, die ins Nichts führt, da sie das soziale Miteinander und damit eine grundlegende Voraussetzung für das Gedeihen von Gemeinschaften zerstört.

Im Kern dient die Diskussion über den Erfolg des „Postfaktischen“  in Deutschland überdies primär der Ablenkung davon, dass die etablierte Politik unverändert nicht einmal versucht, tragfähige Konzepte für die Lösung der drängenden Probleme zu liefern. Jahrzehntelang haben die Regierenden die Vermögenden begünstigt und vielerlei Lasten auf dem breiten Volk abgeladen, das sich erstaunlich lange nicht wehrte. Und nun kommt der Protest doch noch, allerdings  – gattungstypisch –  auf  ebenfalls unsinnige Weise, dumpf rechtspopulistisch. Würden die „Volksvertreter“ die in ihrer Bezeichnung aufscheinende Aufgabe wenigstens nun schnell besser erfüllen, entstünden daraus Fakten, die das „postfaktische“ Gefühlsspektrum sehr wohl beeinflussen würden.

Davon aber sind unsere „Volksparteien“ weit entfernt. Angela Merkel versucht in bewährter Manier, das nicht zuletzt vom Westen verursachte Problem der Flüchtlingsströme in weitere nicht-westliche Staaten auszulagern.  Jens Spahn probiert einen ersten innerparteilichen  Aufstand gegen Merkel, jedoch unter Herbeiführung eines überflüssigen und verantwortungslosen Parteitagsbeschlusses zur doppelten Staatsbürgerschaft.  Die CSU wiederum schwadroniert noch immer von – rechtlich unhaltbaren – Höchstgrenzen für die Aufnahme von Flüchtlingen. Niemand in der CDU/CSU scheint auch nur ansatzweise begriffen zu haben, dass diese  bloßen Anbiederungen an die AfD nur dieser helfen und kein Problem lösen. Schließlich beschert die CSU der ohnehin wankenden EU  ein weiteres, gänzlich  unnötiges Problem namens PKW-Maut. Und die SPD duckt sich wie so oft still weg.

Gäbe es nicht die Trostpflaster mancher praktischer Philosophie und der Kunst, wäre entschieden zu bedauern, dass das Gehirn einiger Affen weit stärker wuchs als das der anderen. Ohne diese Evolution wäre Mutter Erde in weit besserem Zustand.

Kommentare sind geschlossen