Wer als Mensch des Abendlands in den Spiegel schaut, entdeckt nur allzu gern ein Wesen, das sich im Lichte der Aufklärung, westlicher Werte und des Champagners (Charlie Hebdo) turmhoch über die mittelalterlichen, ideologisch aufgeladenen und gewalttätigen Islamisten des Morgenlands erhebt.
Dabei fällt – wie im Wesentlichen auch bei der Politik und den etablierten Medien des Westens – freilich allerlei unter den Spiegel. Die durch niedrige Steuern geförderte, sinnlose Anhäufung riesiger Vermögen durch wenige ist alles andere als das Ergebnis eines Ausgangs aus ihrer Unmündigkeit, eher ein Fall für Psychologen. Auch abgesehen davon ist das westliche Raffen schädlich, da es unter systematischer, nicht selten sogar mörderischer Herbeiführung von Armut und Perspektivlosigkeit der Vielen geschieht und damit dem Terrorismus den Boden bereitet; wer im Diesseits einigermaßen versorgt ist, scheut – Religion hin oder her – das Dasein des Terroristen, ob das Jenseits mit Jungfrauen aufwartet oder nicht. Und die viel beschworenen westlichen Werte bestehen, wenn wir so weitermachen wie bisher, angesichts der weltweit zunehmenden Durchdringung nahezu aller Lebensbereiche durch den apokalyptischen Kapitalismus bald nur noch in dem Angehäuften. Bei westlichen Staatsdienern wie Polizisten oder Richtern ist eine nachlassende Bereitschaft, sich für die immer weniger solidarischen Gemeinschaften einzusetzen, bereits erkennbar. Ganz zu schweigen von der Frage nach der Zahl derer, die sich – auch im Westen – angesichts düsterer Aussichten Champagner noch leisten wollen oder können.
Wer den eigenen Unrat verdrängt, verhält sich nicht minder ideologisch als der Terrorist, und er versäumt es zugleich, endlich das Richtige zu tun. Das Bombenwerfen, wodurch es – abgesehen vom Profit der Rüstungsindustrie – nur weiter abwärts geht, ist es gewiss nicht. In Andersens Märchen „Des Kaisers neue Kleider“ war es schließlich ein unschuldiges kleines Kind, das ausrief: „Aber er hat ja gar nichts an!“ Es täte uns im Westen gut, das Niveau dieses Kindes zu erreichen, gerade weil wir ganz und gar nicht unschuldig sind. Wie sagte schon Sokrates: „Erkenne Dich selbst.“ Der Rest ergibt sich dann zwar entgegen seiner Auffassung durchaus noch nicht von allein. Aber die schonungslose Selbsterkenntnis wäre immerhin ein großer, tatsächlich aufgeklärter Schritt vorwärts.