Möge Christian Wulff sich dort gemütlich einrichten und die Erinnerung an sein peinliches Verhalten schon bald schwinden lassen. Es gibt wichtigere Fehlentwicklungen, insbesondere die irrwitzige Geldschöpfung und –verschwendung zugunsten der Finanzwirtschaft und der Politik, derzeit im Rahmen der – laut Angela Merkel wieder einmal alternativlosen – „Rettung des Euro“, und die neoliberale Gier, die zunehmend und weltweit den Gemeinsinn unterminiert und die Erde irreparabel ruiniert, womit die Gattung Mensch selbst den Ast absägt, auf dem sie noch lange im Einklang mit der Natur sitzen könnte.
Vermutlich hat sich die Öffentlichkeit auch deshalb so ausgiebig in den Sündenbock Wulff verbissen, weil die von ihm geschaffenen Problemchen so angenehm übersichtlich waren. Das Zerstörungswerk der zunehmend symbiotisch agierenden Großkonzerne und der Politik ist für die breite Öffentlichkeit eben weit schwerer zu durchschauen.
Der Neoliberalismus lebt von Voraussetzungen, die er systematisch zerstört, zumal Macht und Reichtum konvertierbare Währungen sind. Auf letzteres hat Colin Crouch in seinem neuen, lesenswerten Buch (Das befremdliche Überleben des Neoliberalismus, Suhrkamp 2012, € 19,90) soeben treffend hingewiesen. Nichts und niemand wird daran mit Erfolg etwas ändern, auch nicht die von Crouch beschworene „offene und wachsame Zivilgesellschaft“.
Die Tragik der wenigen, die über die Intelligenz verfügen, das Unheilvolle der Entwicklung der letzten Jahrzehnte zu analysieren, besteht darin, dass sie vor der letzten Erkenntnis zurückschrecken und stattdessen ihre Hoffnung in illusorische Rettungsanker wie eine „Zivilgesellschaft“ oder in die maßgebende Entwicklung einer „nüchtern – aufgeklärten Haltung“ (ansonsten ebenso lesenswert: Meinhard Miegel, Exit, Wohlstand ohne Wachstum, List, 2011, TB, € 9.90) setzen. Die Kunst besteht vielmehr darin, der Krake lächelnd ins Gesicht zu sehen und sich noch im Malstrom des Untergangs wesentlich anders zu verhalten als die Geld- und Machtgeilen.