Das regelmäßige Studium der Todesanzeigen in den Gazetten mag in manchem Leser den wohligen Eindruck erwecken, es stürben immer nur die Anderen. Der eigene Tod wird regelmäßig verdrängt, da außerordentlich unbeliebt. Die um schräge Formulierungen nie verlegenen Psychologen nennen ihn eine „narzisstische Kränkung“.
Zweifellos ist es ein Jammer, wenn das Leben bereits in den ersten Jahrzehnten endet, kann ein Alter von 40 oder 50 Jahren doch eine herrliche Kombination aus beginnender Reife und noch vorhandener körperlicher Leistungsfähigkeit bieten. Anders sieht es in deutlich späteren Jahren aus: Ab 60 oder etwas mehr beginnt sich der schleichende Zerfall der Maschine bemerkbar zu machen. Die Reparatur- und Austauschleistungen der modernen Medizin können körperliche Mängel teilweise ausgleichen, bisher jedoch nicht Einbußen an geistiger Leistungsfähigkeit.
Zwar werden die medizinischen Erfolge fraglos zunehmen, aber sie können nach aller Voraussicht noch für lange Zeit nur armseliges Dasein weiter verlängern, nicht aber einen 40- oder 50-Jährigen auch nur annähernd in seinem mentalen und körperlichen Zustand erhalten, geschweige denn einen 70- oder 80-Jährigen wieder dahin versetzen. Im Übrigen ist der unsterbliche Mensch ohnehin eine Horrorvorstellung. Bereits die einige Jahrzehnte währende Betrachtung dessen, was die Gattung seit jeher auf und mit der wunderbaren Erde anstellt, ist mehr als deprimierend.
Das Leben im Alter kann, wenn der Geist einigermaßen intakt bleibt, zwar noch eine gewisse Attraktivität haben, jedoch nur auf der Grundlage allerlei schmerzhafter Verzichte. Häufig kommen Krankheiten hinzu. Die Entscheidung darüber, ob man diese Form der Existenz möchte, sollte ausschließlich dem Einzelnen überlassen sein, weshalb das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum assistierten Freitod (!) gut und richtig war. Die unveränderten Bemühungen der Politik, diesen erheblich zu erschweren und damit unfrei zu machen, sind es nicht.
Üben wir uns daher rechtzeitig in der Kunst des Loslassens. Einen Vorzug hat der Tod in jedem Fall: Er bietet endlich Gewissheit darüber, dass die Vorstellung eines jenseitigen Fortlebens oder einer Reinkarnation, die alle großen Weltreligionen pflegen, nicht mehr ist als – und hier passt der Begriff – narzisstischer Zucker, Ausdruck menschlicher Feigheit vor dem Unabänderlichen. Die Frage ist allerdings, wie wir diese Erkenntnis dann noch gewinnen können.